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Demokratie in Zeiten des Corona-Virus

Die Corona-Krise legt sich wie ein Vergrößerungsglas auf viele Probleme und Zustän­de. Sie zeigt, wie wichtig die öffentliche demokratische Verhandlung von Entscheidun­gen ist; wie wichtig dabei die zivilgesellschaftliche Einmischung ist. Sie zeigt, wie wert­voll Grundrechte sind. Sie zeigt, wer schon bisher am Rand stand und selten im Fo­kus politischer Entscheidungen.

Es gibt hierzulande viele Organisationen und Initiativen, die wichtige Hilfs- und Unterstützungsarbeit leisten. Und es gibt Organisationen und Initiativen, die besonders auf demokratische und menschenrechtliche Aspekte schauen – und die unter anderem da­durch die Arbeit anderer Gruppen erst absichern.

  • Dieser Mini-Überblick zu demokratischem Engagement in Zeiten des Corona-Virus wird nicht laufend aktualisiert.
    Diese Seite wurde am 16. April 2020 aktualisiert.
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Grundrechte und Engagement

Fragen und Antworten zur Einschränkung von Grundrechten durch Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie stellt die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) zu­sammen.

Weiterhin gilt: In Deutschland müssen Demonstrationen nicht genehmigt, nur ange­meldet werden. Auf die Anmeldung kann ein Verbot folgen – Auflagen sind ein weniger eingreifendes Mittel als Verbote. Anweisungen, Demonstrationen nicht zuzulassen, gelten zunächst nur innerhalb der Verwaltung und nicht gegen Bürger*innen.

Doch macht ein Distanz-Gebot Demonstrationen unmöglich? Mit einem Kurzgutachten untersucht dies die GFF und liefert damit auch Argumente für die Auseinandersetzung mit Versammlungsbehörden und Verwaltungsgerichten.

Schlägt Datenschutz das Recht auf körperliche Unversehrtheit? Oder wie können beide in Einklang gebracht werden? Eine Handy-App des Robert Koch-Institut soll helfen, Kontakte zu infizierten Menschen nachvollziehbar zu machen. DigitalCourage hat die bekannten Ideen analysiert.

Digitalcourage stellt eine Linksammlung von zivilgesellschaftlichen Initiativen, Berich­ten und Analysen zum Thema staatliche Einschränkungen durch Corona-Maßnahmen zur Verfügung.

Unaufgeregt aber bestimmt weisen sowohl die Humanistische Union als auch Mehr Demokratie auf die Gefahren der Grundrechtseinschränkungen in der Corona-Krise hin. Beide fordern unter anderem die Befristung und demokratische Kontrolle aller Notfallmaßnahmen. Auch müssen Konsequenzen aus den Missständen gezogen werden, die in den letzten Wochen an zahlreicher Stelle deutlich wurden. Die Humanistische Union untermauert ihre Forderungen zudem mit einem ausführlichen Positionspapier.

Seit Mai sind wieder mehr Versammlungen problemlos möglich. Diese auch erkämpften Rechte werden auch von Leuten genutzt, deren Meinung nicht unsere ist. Mit Campact warnt am 15. Mai 2020 ausgerechnet eine Organisationen jetzt vor Protesten, die schon große Demos mitorganisiert hat:  “Alle Maßnahmen dürfen kritisiert werden. Und manche waren eindeutig überzogen. … Im Detail haben die Verantwortlichen sicher Fehler gemacht – auch in Deutschland. Aber: Im Kern waren die Maßnahmen zum Infektionsschutz richtig und angemessen.” Weiter zum lesenswerten Beitrag von Campact-Vorstand Felix Kolb.

Zur Bedeutung und zur Bedrohung der Zivilgesellschaft

“Es geht um eine weltweite gesellschaftliche Krise, die durch die Pandemie ausgelöst, mag sein sogar nur an die Oberfläche gespült worden ist”, schreibt Rupert Graf Strachwitz von der Maecenata-Stiftung in einer Analyse zu Staat und Zivilgesellschaft vom 14. April 2020. Er betont die Rolle der Zivilgesellschaft, die “selbstermächtigt im bürgerschaftlichen Raum agiert, über diesen wacht und durch ihre Dienstleistungen, aber auch durch ihre Themenanwaltschaft, ihre Wächterfunktion, ihre Gemeinschaftsbildungsfunktion und ihre Funktion der politischen Mitgestaltung” dazu beiträgt – doch die Politik setze “nicht auf die Solidargemeinschaft der Bürgerinnen und Bürger, sondern auf das, was die staatliche Verwaltung am liebsten macht: regeln, prüfen, kontrollieren, absperren, strafen.” Ein Ergebnis: “Bedeutung hat der Staat, sodann die Wirtschaft, aber nicht die Zivilgesellschaft. Die Bürgerinnen und Bürger sind wieder das, was sie im Obrigkeitsstaat waren: Objekte, nicht Subjekte des Gemeinwesens.”

Über den beschränkten Blick des Staates auf die Zivilgesellschaft und die daraus folgenden Lücken und Einseitigkeiten im Corona-Schutzschirm schreibt Stefan Diefenbach-Trommer für den Newsletter des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE).

Lobbyisten agieren auch in der Krise – und wer bisher mehr Einfluss hatte, behält ihn. LobbyControl untersucht dies und stellt Demokratie-Forderungen auf zu Ausgewogen­heit, Transparenz und sorgfältiger Abwägung.

Die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) schreibt über die Ge­fahr, dass Regierungen weltweit Corona-Maßnahmen für weitere dauerhafte Ein­schränkungen der Zivilgesellschaft nutzen könnten. Guter Einstieg ins Thema mit zahlreichen Links zum weiterlesen. (Sprache: Englisch.)

Einen Schritt weiter geht Christine Meissler von Brot für die Welt. In ihrem aktuelleren Beitrag (19.05.2020) sammelt sie bereits zahlreiche konkrete Fälle von Menschenrechtsverletzungen und Einschränkungen zivilgesellschaftlicher Räume, die Regierungen weltweit im Zuge von Pandemie-Sondermaßnahmen begehen. Sie zeigt, wie sich die Corona-Krise derzeit zu einer weitaus komplexeren Krise mit katastrophalen Folgen entwickelt und warum gerade jetzt das Engagement der Zivilgesellschaft wichtiger denn je ist.

“Verteidigt unsere Demokratie in der Corona-Krise!”, fordern Politiker*innen und Akti­vist*innen in einer Petition an die EU-Kommission und die EU-Mitgliedsstaaten. U.a. sollten alle staatlichen Einschränkungen befristet sein.

Human Rights Watch bietet Forderungen und Analyse zur weltweiten Gefahr zuneh­mender Einschränkungen der Zivilgesellschaft. (Sprache: Englisch.)

Die Civicus-Allianz, die u.a. den Atlas der Zivilgesellschaft erstellt, analysiert die welt­weite Gefahr zunehmender Einschränkungen zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräu­me und appelliert an alle Staaten der Welt, Freiräume zu sichern. (Sprache: Englisch.)

Civic Space Watch, sozusagen Civicus auf europäisch, sammelt Meldungen, Warnun­gen und Forderungen europaweit.

Ansgar Klein, Geschäftsführer des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE), weist auf die Folgen der Krise für zivilgesellschaftliche Organisationen hin, aber auch auf die Bedeutung der Organisationen in der Krise: “Zivilgesellschaftliche Organi­sationen leisten unverzichtbare Beiträge für ein funktionierendes öffentliches Leben, besonders in Krisensituationen. Sie bilden das Rückgrat und den Rahmen für das En­gagement von Millionen Bürgerinnen und Bürgern und den gesellschaftlichen Zusam­menhalt.”

Die Maecenata Stiftung veröffentlicht wöchentlich kurze Beiträge zur Bedeutung von Zivilgesellschaft in Zeiten der Corona-Krise. Statements, Ideen und Analysen zu wech­selnden Schwerpunkten: Teil 1 vom 27. März.

Über die Landesgrenzen hinaus

Solidarität in Zeiten der Pandemie – während viele Menschen hierzulande in Nachbarschaftsinitiativen und über die sozialen Medien Strukturen zur gegenseitigen Hilfe aufbauen, weitet Medico International den Blick auf die globale Dimension der Corona-Pandemie und ihrer sozialen Folgen.

Organisationen der Humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit sind in der Corona-Krise besonders gefordert. Damit sie jetzt handlungsfähig bleiben, benötigen sie staatliche Unterstützung, fordert der Bundesverband entwicklungspolitischer und humanitärer Nichregierungsorganisationen Venro, u.a. Anpassungen staatlicher Leistungen, Verringerung verlangter Eigenanteil wegen sinkender Spenden.

Weltweite Auswirkungen in den Blick nehmen verlangt der Bundesverband entwicklungspolitischer und humanitärer Nichregierungsorganisationen Venro von Bundesregierung und Bundestag. Weltweit werden schwere Auswirkungen der Pandemie auf Geflüchtete und Binnenvertriebene erwartet.

12.10.2020: Systematische Studie zur Bedeutung zivilgesellschaftlicher Organisationen in der Corona-Krise

Auch angestoßen und begleitet durch unsere Allianz hat die Maecenata Stiftung am 12. Oktober 2020 eine Studie veröffentlicht, die sich mit den Herausforderungen, Bedarfen und Potenzialen der Zivilgesellschaft in der Covid-19-Pandemie befasst. Die Studie liefert Schlussfolgerungen dazu, die auf drei Teilen beruhen:

  • Einem theoretischen Teil (Potenziale) zum zivilgesellschaftlichen Sektor und seinen Subsektoren, der erneut darstellt, dass Zivilgesellschaft nicht nur Dienstleistung und Selbsthilfe anbietet.
  • Einem empirischen Teil, der Herausforderungen und Bedarfe für einzelne Subsektoren anhand exemplarischer Interviews darstellt.
  • Einem weiteren empirischen Teil, der die Hilfsangebote staatlicher Stellen umfassend untersucht und Lücken aufzeigt.

Zu den Ergebnissen gehört, dass der Subsektor mit Funktionen Themenanwaltschaft, Wächter und Mitgestaltung spezifisch getroffen ist. Einerseits hat er in der Krise seine Bedeutung erneut bewiesen, etwa indem er auf übersehene Gruppen hinwies oder die Maßnahmen des Staates kritisch begleitete, kommentierte und auch dagegen klagte, wenn nötig. Zugleich stellen die Autoren Malte Schrader, Johannes Roth und Rupert Graf Strachwitz fest, dass gerade diese zivilgesellschaftlichen Funktionen in den vergangenen Monaten stark eingeschränkt waren. Viele dieser Organisationen haben sich in ihrer Arbeit bewusst eingeschränkt, da sie z.B. auf Demonstrationen verzichtet haben, während sich andere neue Gruppen sehr lautstark zu getroffenen Corona-Maßnahmen geäußert und den erstrittenen Freiraum genutzt haben, was wiederum gesamtgesellschaftlich zu einer verzerrten Wahrnehmung des gesellschaftlichen Diskurs geführt hat.

Diese Organisationen, zu denen die meisten Allianz-Mitglieder gehören, stünden vor einer unsicheren Finanzierungslage. Viele von ihnen haben bisher bewusst auf staatliche Fördermittel verzichtet und werden deshalb bei Hilfsmaßnahmen übersehen. Spendeneinnahmen sind bei einigen zu Beginn der Pandemie gestiegen, andererseits aber auch Corona-bedingt die Kosten. Es fehlt die Möglichkeit, Risikorücklagen zu bilden, und es ist in den nächsten Monaten mit einem Spendeneinbruch zu rechnen. Die von Bund und Ländern zur Verfügung gestellten Hilfsleistungen können von vielen Organisationen aus verschiedenen Gründen nicht abgerufen werden.

30.4.2021: Fortsetzung Maecenata-Studie “Zivilgesellschaft in und nach der Pandemie

Die Studie von Oktober 2020 wurde fortgesetzt und vertieft. Weitere Infos zur Untersuchung “Zivilgesellschaft in und nach der Pandemie: Bedarfe – Angebote – Potenziale” hier.