Visit page
Zum Inhalt springen

Zivilgesellschaft ist gemeinnützig Beiträge

Rechtstaatlichkeit und Civic Spaces – Berichte aus 2024 (Stand August 2024)

In der ersten Jahreshälfte 2024 wurden diverse Berichte zum Zustand der Rechtsstaatlichkeit und damit zusammenhängender zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräume (sog. civic spaces) in der EU und Deutschland veröffentlicht – auch in Anbetracht des Trends der shrinking civic spaces (siehe hierzu auch unser letztes entsprechendes Themen-Dossier).
Zentrale Bereiche, die dabei analysiert wurde, sind unter anderem die Pressefreiheit, die Justiz, sog. checks and balances, das Verhältnis der Zivilgesellschaft zur Politik, die Versammlungsfreiheit sowie die Kontrolle und Ermöglichung der Vereinigungsfreiheit, auch mit Bezug zu unserem Thema, der Gemeinnützigkeit als Basis vieler Vereinigungen.
Insgesamt lässt sich aus den Berichten zu Deutschland herauslesen: Trotz einer positiven aktuellen Gesamteinschätzung Deutschlands und Verbesserungen in einzelnen Bereichen (wie Transparenz) habe sich die Lage des zivilgesellschaftlichen Raums etwas verschlechtert.
Einige der Berichte haben wir hier zusammengetragen und kurz zusammengefasst.

„Ausländische-Agenten-Gesetze“ in der EU? – Zivilgesellschaftliche Freiheiten müssen gesichert werden

Sich gegen soziale Ungerechtigkeit, Diskriminierung oder Umweltzerstörung zu engagieren, wird in vielen Weltregionen und Ländern zunehmend schwieriger. Das berichtete der Civicus Monitor bereits Ende 2023, im Frühling 2024 nochmal in Form des Atlas der Zivilgesellschaft, der unter der Führung von Brot für die Welt die Ergebnisse des Civicus Monitor auf Deutsch aufarbeitet.
Wie bedeutend Freiraum der Zivilgesellschaft für Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte sind, wurde Ende Frühling 2024 viel mit Blick auf Georgien berichtet. Am 14. Mai 2024 verabschie­dete das georgische Parlament das Gesetz “über die Transparenz ausländischer Ein­flussnahme” – auch Ausländische-Agenten-Gesetz genannt. Wenige Wochen vorher wurde ein ähnliches Gesetz in Kirgistan beschlossen. Im weitesten Sinne geht es bei diesen Gesetzen darum, finanzielle Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen aus dem Ausland (aus z.B. Förder-Fonds) offen zu legen und zu stigmatisieren.
Georgien argumentierte, die EU strebe eine ähnliche Richtlinie an: Der im Dezember 2023 veröffentlichte Richtlinienentwurf mit einem Paket zur „Verteidigung der Demokratie“ der Europäischen Kommission hat tatsächlich Bezüge zu “Ausländische-Agenten-Gesetzen”. Die Richtlinie würde das Vereinigungs­recht verletzen und könnte zu unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand, Stigmati­sierung und Schikanen führen.

Kabinett beschließt Steuerfortentwicklungsgesetz – mit wenig Verbesserung für Gemeinnützigkeit

Pressestatement der Allianz “Rechtssicherheit für politische Willensbildung” e.V. zum Kabinettsbeschluss des Jahressteuergesetz II – betreffend Gemeinnützigkeitsrecht

• Das Bundeskabinett hat heute Vormittag (am 24.07.2024) den Entwurf des Jahressteuergesetz II entschieden (nun umbenannt in Steuerfortentwicklungsgesetz)
• Er bleibt deutlich hinter dem zurück, worauf sich im Koalitionsvertrag geeinigt wurde und was zum Schutz lebendiger Zivilgesellschaft nötig wäre
• ab September muss im Parlamentsverfahren vom Bundestag nachgebessert werden

Das “Jahressteuergesetz II” ist da – und löst aktuell nur eins von vielen Gemeinnützigkeits-Problemen

Seit Mittwoch, den 10. Juli 2024 liegt der Referentenentwurf des Jahressteuergesetz II vor. Am 05. Juni 2024 hatte die Bundesregierung bereits den Entwurf des ersten Jahressteuergesetz beschlossen, dem folgte die Ankündigung, es solle ein zweites für „politisch brisante“ Themen folgen. Das Jahressteuergesetz I enthielt bereits einen Vorschlag zu Wohngemeinnützigkeit  – ließ aber die im Koalitionsvertrag angedachten Neuerungen der Gemeinnützigkeit vermissen. Der nun im Jahressteuergesetz II gemachte Vorschlag zum §58 ist erfreulicherweise präziser als die bisherigen Regelungen im Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) und vor allem so auch gerichtsfest. Ansonsten ist der Entwurf aber nach monatelangen, intensiven Verhandlungen von sechs (!) Staatssekretär:innen erst einmal enttäuschend. Und vor allem deutlich weniger als das, was sich im Koalitionsvertrag vorgenommen wurde.

Vereine schreiben wegen Gemeinnützigkeit an Bundeskanzler Olaf Scholz

Das Bundesfinanzministerium hatte Vorschläge zur Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts bis zur parlamentarischen Sommerpause angekündigt – das sind nun keine zwei Wochen mehr und ein Entwurf dafür ist nicht sichtbar. In der Verantwortung steht die gesamte Koalition, die gesamte Regierung. Die Dringlichkeit des Themas versuchen viele Akteur:innen der Zivilgesellschaft deutlich zu machen. Während einerseits um staatliche Fördermittel verhandelt wird, sind andererseits die rechtlichen Rahmenbedingungen wichtig: Als Basis für Fördermittel-Anträge, aber auch für die Selbstfinanzierung durch Spenden oder private Fördermittel. Gestern (24.6.2024) wurden zwei neue Briefe an den Bundeskanzler öffentlich.

Neuer gemeinnütziger Zweck geplant: Wohngemeinnützigkeit

Bis vor einigen Jahren galt die Liste gemeinnütziger Zwecke in §52 der Abgabenordnung als unantastbar. Gerichte und Finanzverwaltung argumentieren häufig, der Gesetzgeber habe dort festgeschrieben, was er fördern wolle; und was nicht drin steht, wolle er offenbar nicht fördern. Doch Bundestag und Bundesrat als Gesetzgeber kennen oft nicht die Details der Liste und haben Angst, dass die Wünsche an neue, zeitgemäße Zwecke überborden und die Zweck-Liste irgendwann platzen würde. Ende 2020 wurden dennoch einige neue Zwecke als Ergänzung zu bestehenden Ziffern aufgenommen. Nun soll nach dem Willen der Bundesregierung mit dem Jahressteuergesetz 2024 eine neue Ziffer 27 zu Wohngemeinnützigkeit angefügt werden. Das ist hilfreich, aber auch verwunderlich.

Warten auf das Jahressteuergesetz II

Seit mittlerweile zwei Jahren wird uns angekündigt, dass die Koalition die vereinbarte Modernisierung der Gemeinnützigkeit umsetzt – oft wird auf das jeweils nächste Jahressteuergesetz verwiesen. Am 5. Juni 2024 hat die Bundesregierung einen Entwurf eines Jah­ressteuergesetzes beschlossen. Dieser Entwurf enthält einen Vorschlag für einen neuen gemeinnützigen Zweck zu Wohngemeinnützigkeit (gleicher Begriff, aber anderer Bereich), sonst aber keine Veränderungen am Gemeinnützigkeitsrecht. Das Bundesfinanzministerium plant ein zweites Jahressteuergesetz 2024. Im zweiten Gesetz solle es um “politisch brisante”, in der Koalition strittige Themen gehen; u.a. Gemein­nützigkeit, aber auch Kinderfreibetrag, Kindergeld, Steuerklassen/Faktorverfahren und mehr. Der Journalist Tilo Jung befragte hierzu in der Bundespressekonferenz die Regierungssprecher:innen, die aber erst später wirklich antworten mit: “Regierungsinterne Abstimmungen dauern an.

Die Ungeduld bei vielen gemeinnützigen Organisationen und Dachverbänden wächst.
Hier nur einige der Briefe, die die Koalitionsspitzen in den vergangenen Wochen dazu Briefe erhalten haben:

Viel los um Gemeinnützigkeit: Eine Zusammenfassung der Mai-Wochen

Das Jahressteuergesetz 2024 soll die im Koalitionsvertrag versprochene Reform des Gemeinnützigkeitsrechts beinhalten. Dieses soll noch vor der Sommerpause des Bundestags ins Kabinett.
Das ist nicht mehr lang, und was bisher bekannt ist, ist ernüchternd: Im letzten veröffentlichten Entwurf war Gemeinnützigkeit gar nicht drin. Nur E-Sport soll als neuer Zweck aufgenommen werden, es gibt keine Einigung zur Klarstellung für politische Mittel für den eigenen Zweck.
Umso mehr Stiftungen, Verbände und Vereine ergreifen grade die Initiative, an Bundesfinanzminister Linder zu appellieren, an dessen Ministerium das Jahressteuergesetz hängt: Einen Abriss der Geschehnisse der letzten Wochen, in denen aus vielen Richtungen kleinerer und größerer Druck kam, haben wir hier zusammengefasst.

Fall Volksverpetzer: Gemeinnütziger Zweck gegen Hass fehlt

Pressestatement der Allianz “Rechtssicherheit für politische Willensbildung” e.V. zum Verlust der Gemeinnützigkeit des Volksverpetzers

  • Volksverpetzer teilt rückwirkenden Entzug der Gemeinnützigkeit mit
  • Offenbar fehlen gemeinnützige Zwecke für Engagement gegen Hass
  • Koalition verschleppt Modernisierung des Rechts der Zivilgesellschaft

Zur Mitteilung des Volksverpetzers, dass das zuständige Finanzamt dem Internet-Blog rückwirkend die Gemeinnützigkeit aberkannt hat, erklärt Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz “Rechtssicherheit für politische Willensbildung”, einem Zusammenschluss von fast 200 Vereinen und Stiftungen:

“Für das Engagement von Volksverpetzer für Demokratie und Grundrechte, gegen Fake-News und Hass fehlen offenbar passende Zwecke im deutschen Gemeinnützigkeitsrecht. Die Nachricht zeigt erneut die Dringlichkeit, das Gemeinnützigkeitsrecht ins 21. Jahrhundert zu bringen und es dabei sturmsicher gegen Anti-Demokrat:innen zu machen. Die Ampel-Koalition hatte eine Modernisierung der Gemeinnützigkeit im Koalitionsvertrag vereinbart. Doch bereits seit mehr als einem Jahr wird die Gesetzesänderung verschleppt.

Zehn Jahre ohne Gemeinnützigkeit: Attac kämpft weiter

Pressemitteilung von Attac Deutschland mit Allianz “Rechtssicherheit für politische Willensbildung” e.V.

  • Demokratische Zivilgesellschaft darf nicht weiter behindert werden
  • Von Ampel-Koalition versprochene Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts steht noch aus
  • Vor zehn Jahren strich das Finanzamt Frankfurt Attac den Gemeinnützigkeits-Status

Zehn Jahre ist es am kommenden Sonntag (14.4.2024) her, dass Attac Deutschland die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde. Das globalisierungskritische Netzwerk agiere zu politisch, begründete das Finanzamt Frankfurt seinen Bescheid vom 14. April 2014. Insbesondere der Einsatz für eine Regulierung der Finanzmärkte, eine Finanztransaktionssteuer – immerhin die Gründungsforderung von Attac – oder eine Vermögensabgabe seien nicht gemeinnützig, hieß es in dem Schreiben.

Seitdem wehrt sich Attac gegen die Aberkennung seiner Gemeinnützigkeit – juristisch und politisch. Die Auseinandersetzung erfuhr dabei von Beginn an große öffentliche Aufmerksamkeit. Denn der „Fall Attac“ hat nicht nur Bedeutung für das Netzwerk selbst, sondern beeinträchtigt auch die gesamte demokratische Zivilgesellschaft.