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Viel los um Gemeinnützigkeit: Eine Zusammenfassung der Mai-Wochen

Das Jahressteuergesetz 2024 soll die im Koalitionsvertrag versprochene Reform des Gemeinnützigkeitsrechts beinhalten. Dieses soll noch vor der Sommerpause des Bundestags ins Kabinett.
Das ist nicht mehr lang, und was bisher bekannt ist, ist ernüchternd: Im letzten veröffentlichten Entwurf war Gemeinnützigkeit gar nicht drin. Nur E-Sport soll als neuer Zweck aufgenommen werden, es gibt keine Einigung zur Klarstellung für politische Mittel für den eigenen Zweck.
Umso mehr Stiftungen, Verbände und Vereine ergreifen grade die Initiative, an Bundesfinanzminister Linder zu appellieren, an dessen Ministerium das Jahressteuergesetz hängt: Einen Abriss der Geschehnisse der letzten Wochen, in denen aus vielen Richtungen kleinerer und größerer Druck kam, haben wir hier zusammengefasst.

Fahrten zu Events, um mit Politiker:innen ins Gespräch zu kommen, Petitionsübergaben wie die dieser Woche, Recherche- und Fallarbeit brauchen Zeit, Personen-Power – und Geld.
Unterstützen Sie uns hier, im Endspurt der politischen Arbeitsphase zur Reform des Gemeinnützigkeitsrechts:

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Petitionsübergabe an Finanzminister Lindner beim Jahresempfang des Bund der Steuerzahler

Fotos von Chris Grodotzki / Campact

Mit campact und openPetition haben wir am Donnerstag, den 16. Mai unsere gemeinsame Petition „Zivilgesellschaft nützt der Gemeinschaft: Politische Beteiligung ist #gemeinnützig!“ übergeben.
Zumindest einem Papp-Lindner: Der echte Finanzminister war trotz mehrfacher Terminanfragen der letzten Wochen nicht zu einem Gespräch oder einer Übergabe der 405.567 (Stand 17.05.24) bereit.
Sein Büro teilte letztlich mit, vor Ende Juni wäre leider keine Zeit – also vor der Sommerpause des Bundestags.
Die Übergabe-Inszenierung fand beim bzw. vor dem Frühjahresempfang zum 75. Jubiläum des Bund der Steuerzahler statt (dieser ist Mitglied in unserer Allianz), zu dem auch Allianz-Vorstand Stefan Diefenbach-Trommer eingeladen war.
Vor dem Gebäude in der Reinhardtstraße 52 übergab dieser kurz vor Veranstalungsbeginn gemeinsam mit campact und openPetition die mehr als 400.000 ausgedruckten Unterschriften in Form einem dicken Buches einem Pappkopf-Lindner.
Christian Lindner selber betrat den Empfang über eine Tiefgarage und kam auch nicht für eine kurze Übergabe oder ein Gespräch für wenige Minuten heraus, obwohl vorher seinem Büro mitgeteilt worden war, dass wir dort bereit stünden.
Diverse Schilder im Stil von Traueranzeigen zeigten exemplarisch 15 Vereine auf, die ihre Gemeinnützigkeit bereits verloren haben oder sich um diese Sorge müssen, weil sie Probleme mit dem Finanzamt haben (siehe hierzu auch unsere Fallbeispiele für Gemeinnützigkeitsprobleme).
Auch dabei war ein großes Banner mit der Aufschrift: 30.000 Vereine: Angst um Gemeinnützigkeit, in Anlehnung an den ZiviZ-Survey aus 2023, demnach fünf Prozent aller gemeinnützigen Vereine in Deutschland sich selber aus Angst um ihren steuerbegünstigten Status zensieren.

Weitere Fotos gibt es hier.
Den gemeinsamen Social Media Beitrag zur Übergabe hier.

Absage Lindners beim Deutschen Stiftungstag

Zwei Tage vor dem Jahresempfang des Bund der Steuerzahler sollte Finanzminister Christian Lindner eine einstündige Key-Note mit anschließenden Nachfragen beim Deutschen Stiftungstag in Hannover halten (14. Mai.24).
Der Veranstalter des Deutschen Stiftungstags, der Bundesverband Deutscher Stiftungen, wollte ihn dort auch mit der ausbleibenden Gemeinnützigkeitsreform sowie konkreten Zahlen konfrontieren, im Sinne von: Was würde ohne Gemeinnützigkeit alles an selbstlosem Engagement nicht stattfinden?
Auch hier hätte Allianz-Vorstand Stefan Diefenbach-Trommer versucht, mit ihm ins Gespräch zu kommen oder eine Publikumsfrage zu stellen.
Wenige Stunden vor Beginn der Keynote sagte Lindner jedoch wegen einer Haushaltsdebatte in Berlin kurzfristig ab, zugeschaltet wurde stattdessen parlamentarische Staatssekretärin Katja Hessel für 15 Minuten, die nichts neues sagte.
Sie wiederholte Informationen, die bereits im März beim parlamentarischen Abend bekannt gegeben wurden: Es bestehe noch Gesprächsbedarf zwischen den sechs Staatssekretär:innen, ein Entwurf des Jahressteuergesetzes inklusive Punkten zur Gemeinnützigkeit solle noch vor dem Sommer ins Kabinett. Über die Sommerpause sollen dann Verbände-Anhörungen stattfinden.

Eine ausführlichere Chronologie von Ampel-Koalitionsvertrag bis heute gibt es hier.

Der Volksverpetzer verliert Gemeinnützigkeit

Fast als wäre es ein Zeichen (wenn auch ein trauriges) des Schicksals, verkündete der Anti-Fake-News-Blog Der Volksverpetzer am Montag der gleichen Woche in Form einer Videobotschaft, das Finanzamt habe ihnen rückwirkend bis 2021 die Gemeinnützigkeit aberkannt.
Der Fake-News-Blog setzt sich ein gegen Desinformation und Hass im Netz, gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus. In der seit 2019 als gemeinnützig anerkannten Satzung der gemeinnützigen Unternehmergesellschaft (gUG) heißt es, diese fördere damit die internationale Gesinnung – einer der als gemeinnützig geführten Zwecke (genau: “Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens”).
Warum rückwirkend die Gemeinnützigkeit entzogen wurde, wird vom Finanzamt nicht mitgeteilt, nur dass die Voraussetzungen für diese nicht mehr erfüllt seien.
Das Amt gibt allerdings in der Kommunikation an, die Arbeit des Volksverpetzers sei zu nah an journalistischer Arbeit: Einen gemeinnützigen Journalismus als Zweck gibt es nach wie vor nicht. Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung wurde 2021 beschlossen, nicht nur auf weitere fehlende gemeinnützige Zwecke zu prüfen, sondern auch Rechtssicherheit für eben jenen gemeinnützigen Journalismus zu schaffen.
Statt der im Koalitionsvertrag versprochenen Reform und erweiterten Zwecken soll Journalismus soll “untergesetzlich” einem Zweck zugeordnet werden.
Es drohen nun Nachzahlungen von einem hohen fünfstelligen Bereich, die der Fake-News-Blog an Spendensteuererlassungen nachzahlen muss.
Da der Volksverpetzer zu 100% Crowdfunding-finanziert ist, erwarten ihn bei einer Bestätigung der Aberkennung des gemeinnützigen Status nicht nur hohe Nachzahlungen, es würden auch zukünftig von Spendenunterstützungen weniger überbleiben, da diese versteuert werden müssen – mit weniger Geld wird der Volksverpetzer vermutlich auch weniger schaffen, über Rechtsextremismus, Volksverhetzung und Co. aufzuklären.
Der Volksverpetzer gibt an, erstmal weiter mit dem Finanzamt in die Kommunikation zu gehen um zu klären, ob Missverständnisse vorgehen oder Fehler auf einer der Seiten gemacht wurden.

Unsere Pressemitteilung mit einer aktuellen und fachlichen Einordnung vom 15. Mai 2024 finden Sie hier.

Einen Artikel der Süddeutschen Zeitung mit Referenz zu unserer Pressemitteilung gibt es hier.

Einen Radiobeitrag von Radio Lora mit Stefan Diefenbach-Trommer im Interview zum Fall Volksverpetzer gibt es hier.

Open-Source-Kurznachrichtendienst mastodon verliert Gemeinnützigkeit

Lange Zeit war es (glücklicherweise) gar nicht so leicht zu zeigen: „Hier, das hier sind die Vereine, die unter dem veralteten Gemeinnützigkeitsrecht leiden, diese hier haben ihren Status sogar schon verloren. Deswegen ist es so dringend!“
Das änderte 2023 bereits teilweise der ZiviZ-Survey, nun gibt es ein weiteres trauriges Beispiel: Der Kurznachrichtendienst mastodon gab Mitte Mai, kurz vor Der Volksverpetzer, in einem Blogpost bekannt, das ihm die Gemeinnützigkeit in Deutschland aberkannt wurde.
Einen Grund nannte das Finanzamt laut einem der Gründer nicht. Die Open-Source-Software galt seit 2021 als gemeinnützig. Im Blogbeitrag schreibt Mitgründer Rochko, man sei damals skeptisch gewesen, ob die Entwicklung von freier und offener Software vom deutschen Steuersystem als gemeinnützig anerkannt würde – und habe sich umso mehr gefreut, als der Antrag genehmigt wurde. Einen konkret passenden gemeinnützigen Zweck gibt es aber nicht.
mastodon habe seine Aktivitäten seit 2016 nicht verändert, weshalb die plötzliche Aberkennung irritiert. In seiner Bereitstellung der Open-Source-Software gefährdet wird der Microblogging-Dienst nicht, da er Gelder vor allem über den Social-Payment-Service Patreon erhält, der keinen gemeinnützigen Status voraus setzt und Einkünfte über Patreon in Deutschland nicht als Spenden gelten. Seit 2021 habe mastodon daher auch nie eine Spendenquittung ausgestellt.
Als Konsequenz gründet mastodon dennoch in den USA eine gemeinnützige Organisation (“501(c)(3) non-profit entity”), über die zukünftig auch steuerfreie Spendeneinnahmen möglich sein sollen.

08. Mai 24: „Wir brauchen ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht“ – Brief von neun Förderstiftungen

Am 08. Mai schickten die neun Förderstiftungen Stiftung Bildung, OLIN, die Canopus Foundation, Dreilinden – Gesellschaft für gemeinnütziges Privatkapital mbH, die Bewegungsstiftung, die Guerilla Foundation, filia – Die Frauenstiftung, Änderwerk und die Stiftung Erneuerbare Freiheit einen Brief an Bundesfinanzminister Lindner.
In diesem zeigten sie sich beunruhigt über die ausbleibende, im Koalitionsvertrag festgeschriebene Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts und baten um eine schnelle Umsetzung, damit sie als Förderstiftungen weiterhin unabhängige Demokratie-Arbeit gemeinnütziger Organisationen unterstützen könnten.
Im Brief schreiben sie:

„Als gemeinnützige Stiftungen können wir leicht und unbürokratisch fördern, indem wir an-
deren gemeinnützigen Organisationen Geld überlassen (§ 58 Ziff. 1 AO). Doch viele Förderanträge müssen wir ablehnen, weil die Antragsteller:innen den Status der Gemeinnützigkeit nicht erhalten, weil für deren Anliegen passende gemeinnützige Zwecke fehlen: Die Förderung der Menschenrechte und der Grundrechte. Die Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, auch des Sozialstaatsprinzips.“

Weiter heißt es:

„Zudem hören wir von Förderpartner:innen, dass sie Projekte nicht durchführen und beantragen wollen, die wir gerne fördern würden, weil unsere Partner:innen-Organisationen befürchten, dadurch ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden – entweder, weil ihre Satzungszwecke nicht zum Vorhaben passen oder ihnen vorgeworfen würde, damit zu politisch zu agieren. Unsere Partne:innen haben dabei nicht nur Angst vor einem wachenden Auge des Finanzamtes. Sie haben auch Angst davor, dass Dritte ihnen falsches Verhalten vorwerfen und dem Finanzamt melden.“

Die Förderstiftungen wollten beim Deutschen Stiftungstag mit Lindner ins Gespräch kommen und ihm den Brief auch persönlich überreichen – dieser sagte jedoch kurzfristig ab.

30. April 24: „Die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts ist überfällig“ – Brief von acht Dachverbänden

Am 30. April schickten die acht Dachverbände Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, Bundesverband Deutscher Stiftungen, Deutscher Kulturrat, Deutscher Naturschutzring, Deutscher Olympischer Sportbund, Deutscher Spendenrat e.V., der Stifterverband sowie der Verband Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe einen Brief an Bundeskanzler Scholz und Bundesminister Habeck und Lindner.
In diesem zeigten sie sich besorgt über die ausbleibende versprochenen Reform des Gemeinnützigkeitsrechts und die damit enorme Verunsicherung in weiten Teilen der Zivilgesellschaft angesichts des des gebotenen Engagements für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Sie kritisierten, dass es bisher im Ermessen der jeweiligen Finanzbehörde bliebe, wie weit steuerbegünstigte Körperschaften sich im Rahmen ihrer gemeinnützigen Zweckverwirklichung risikofrei auch politisch engagieren dürften.
Daher fordern sie als Ergänzungen in der Abgabenordnung über das diskutierte Jahressteuergesetz:

1. Die gesetzliche Klarstellung, dass die eigenen gemeinnützigen Zwecke auch überwiegend
oder ausschließlich mit politischen Mitteln verfolgt werden dürfen, solange das Abstands-
gebot zu Parteien eingehalten wird.
Zu diesen Mitteln gehört das Einbringen ihrer fachlichen Expertise in die Politik in Form von
Stellungnahmen und Forderungen an die Bundesregierung ebenso wie das Ausüben der so
genannten Watchdog-Funktion, sowie der Aufruf und die Beteiligung an Demonstrationen.
Nicht dazu gehört, sich selbst an Wahlen zu beteiligen. So muss sich ein Umweltverband politisch für mehr Fahrradwege oder einen besseren öffentlichen Nahverkehr einsetzen dürfen, ein Sportverband für bessere Förderung des Breitensports. All diese Themen lassen sich nicht „unpolitisch“ behandeln

2. Die Klarstellung, dass sich gemeinnützige Organisationen ausnahmsweise und bei Gelegenheit für andere als die eigenen gemeinnützigen Zwecke engagieren dürfen.
Dass sich zum Beispiel der Sport- oder der Musikverein an einer Anti-Rassismus-Demonstration beteiligen kann und eine Organisation der Entwicklungszusammenarbeit zu einer Klimaschutzdemonstration mit aufruft, sollte zweifelsfrei möglich sein.

Was aktuell tun?

Bei rechtlichen Fragen wird es immer Unsicherheiten, Auslegungsunterschiede und Veränderungen geben. Ein klares Gemeinnützigkeitsrecht, das verschiedene Funktionen zivilgesellschaftlicher Organisationen abbildet, würde helfen. Daran arbeitet unsere Allianz.

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