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Das „Jahressteuergesetz II“ ist da – und löst aktuell nur eins von vielen Gemeinnützigkeits-Problemen

Seit Mittwoch, den 10. Juli 2024 liegt der Referentenentwurf des Jahressteuergesetz II vor. Am 05. Juni 2024 hatte die Bundesregierung bereits den Entwurf des ersten Jahressteuergesetz beschlossen, dem folgte die Ankündigung, es solle ein zweites für „politisch brisante“ Themen folgen. Das Jahressteuergesetz I enthielt bereits einen Vorschlag zu Wohngemeinnützigkeit  – ließ aber die im Koalitionsvertrag angedachten Neuerungen der Gemeinnützigkeit vermissen. Der nun im Jahressteuergesetz II gemachte Vorschlag zum §58 ist erfreulicherweise präziser als die bisherigen Regelungen im Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) und vor allem so auch gerichtsfest. Ansonsten ist der Entwurf aber nach monatelangen, intensiven Verhandlungen von sechs (!) Staatssekretär:innen erst einmal enttäuschend. Und vor allem deutlich weniger als das, was sich im Koalitionsvertrag vorgenommen wurde.

Weiterer Weg des Entwurfs

Was bisher geschah, haben wir in einer Chronik zusammengefasst.
Bisher liegt vom Jahressteuergesetz II der Referentenentwurf vor – also der Entwurf, den das Finanzministerium erarbeitet hat. Verbände haben bis Mittwoch, den 17. Juli 2024 Zeit, Stellung zu diesem zu nehmen, bevor er vermutlich eine Woche später, am 24. Juli 2024 ins Kabinett geht. Der Kabinettsentwurf kann dann nochmal Änderungen zum Referentenentwurf beinhalten – beim Jahressteuergesetz I gab es überraschend einige. Bei den Punkten zur Gemeinnützigkeit ist dies unwahrscheinlich, da es sich bei diesen um den bisherigen Minimalkonsens handelt, den die Staatssekretär:innen der Ampel-Parteien finden konnten. Zwischen den Ministerien, die den Kabinettsentwurf beschließen müssen, scheint jedoch bisher nichts abgestimmt zu sein, es kann also gut sein, dass vor Beschluss des Kabinettsentwurfs des Jahressteuergesetz II nochmal heftig diskutiert wird. Erst dann liegt das Jahressteuergesetz II als Regierungsentwurf vor. Zu diesem wird über den Sommer der Bundesrat Stellung nehmen, bevor der Regierungsentwurf ab September, wenn die Sitzungszeit des Bundestags wieder beginnt, in den Bundestag bzw. das Parlament geht und dort behandelt und beschlossen wird, eventuell parallel zum Jahressteuergesetz I und dem Haushalt.

Ein steiniger Weg für ein noch unzureichendes Ergebnis

Das Erscheinen dieses angekündigten Jahressteuergesetz II durfte angezweifelt werden – wurde besagtes Jahressteuergesetz mit entsprechenden Neuerungen der Gemeinnützigkeit doch schon für Sommer 2023 angekündigt und immer wieder verschoben. Und wurde bis zuletzt aus dem Finanzministerium, aus dem der Entwurf kommt, so gut wie nichts verlauten lassen – außer „es soll kommen“.
Im Raum stand zuletzt auch mal wieder die problematische „politische Körperschaft“.
Nun ist das Jahressteuergesetz II jedoch als Referentenentwurf da und enthält auch Punkte zu Gemeinnützigkeit (siehe Seite 68 und 94). Hierbei handelt es sich wirklich nicht um viel – doch zumindest eine wichtige Erleichterung für gemeinnützige Organisationen ist enthalten.

Was drin steht

Im Wesentlichen enthält der Entwurf zwei Punkte zu Gemeinnützigkeit:

  • eine Art Demokratieklausel: die gesetzliche Kodifizierung des „gelegentlichen“ Engagements über den eigenen Zweck hinaus (bisher im Anwendungserlass zur Abgabenordnung als „vereinzelt)
  • die Abschaffung der zeitnahen Mittelverwendung (und damit einhergehend einige Folgeänderungen)

§ 58 Nr. 11 AO – Politische Betätigung außerhalb der Satzungszwecke

Die „Demokratieklausel“ ist für gemeinnützige Körperschaften die spannendste Änderung. Sie geht maßgeblich auf die Thematik ein, die über 110 lokal und regional arbeitende Vereine Ende Juni in einem medienwirksamen Brief an Kanzler Scholz aufzeigten: Mit dieser Kodifizierung würde festgelegt, dass sich eine steuerbegünstigte Körperschaft gelegentlich tagespolitisch äußern darf, auch wenn dies nicht den in der Satzung festgelegten gemeinnützigen Zwecken unterliegt.

Nach dem Referentenentwurf soll in § 58 AO eine neue Nr. 11 eingefügt werden, wonach die Steuervergünstigung nicht dadurch ausgeschlossen würde, dass

„eine steuerbegünstigte Körperschaft außerhalb ihrer Satzungszwecke gelegentlich zu tagespolitischen Themen Stellung nimmt.“

Nach dem Ausschließlichkeitsgebot (§56 AO) dürfen steuerbegünstigte Organisationen nur ihre satzungsmäßigen Zwecke verfolgen, allerdings rechtfertigen bisher geringfügige Verstöße unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht die Aberkennung der Gemeinnützigkeit.
Nach der Begründung zur Anpassung des Gesetzes müssten die Äußerungen aufgrund eines besonderen Anlasses erfolgen und der steuerbegünstigten Zweckverfolgung untergeordnet sein. Dabei ist eine Gesamtbetrachtung zugrunde zu legen. Unter diesen Voraussetzungen kann es bspw. auch unschädlich sein, wenn es aufgrund eines besonderen Anlasses zu wiederholten Äußerungen über einen Zeitraum von mehreren Wochen kommt.

§ 55 Abs. 1 Nr. 5 AO – Zeitnahe Mittelverwendung für alle gemeinnützigen Organisationen wird abgeschafft

Die in § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO verankerte Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung beinhaltet die gesetzliche Verpflichtung, alle Einnahmen, also Spenden, Beiträge etc. möglichst zügig für die steuerbegünstigten Satzungszwecke auszugeben.
In der Folge soll bspw. auch der § 62 AO (Rücklagenbildung) gestrichen werden, da mit dem Wegfall der Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung auch die Notwendigkeit zu extra Regelungen für die Rücklagenbildung entfällt. Ebenfalls gestrichen werden soll in der Folge der § 63 Abs. 4 AO (Fristsetzung zur Mittelverwendung seitens des Finanzamts).

Jahressteuergesetz I vs. Jahressteuergesetz II

Derzeit unklar ist, wie sich das Jahressteuergesetz II zum Kabinettsentwurf Jahressteuergesetz I verhält, da nach dem Entwurf des Jahressteuergesetz II der § 62 AO ganz entfallen soll, während im Entwurf des Jahressteuergesetz I der § 62 Abs. 1 Nr. 1 AO um eine sog. „ex ante“ Perspektive (Betrachtung einer Situation aus einer früheren Perspektive) bei der Rücklagenbildung (Artikel 13 des Gesetzentwurfes) ergänzt werden soll (siehe Seite 186).
Hier wäre es begrüßenswert, wenn eine solche ex-ante-Regelung für alle Entscheidungen gemeinnütziger Körperschaften eingeführt würde: Dass es auf die Einschätzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung ankommt, nicht darauf, ob sich diese Entscheidung im Nachhinein als gut oder schlecht erweist (vgl. auch Business-Judgement-Rule).

Was nicht drin steht

Viel. Diverse Punkte, die aus unserer sowie der Perspektive hunderter Vereine nötig gewesen wären, stehen nicht im Entwurf. Und auch Punkte, die medial diskutiert wurden, haben es nicht in die Einigung der Staatssekretär:innen geschafft, wie der neue gemeinnützige Zweck e-Sport.
2021 hatte die Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag zum Thema Gemeinnützigkeit festgehalten:

„Wir modernisieren das Gemeinnützigkeitsrecht, um der entstandenen Unsicherheit nach der Gemeinnützigkeitsrechtsprechung des Bundesfinanzhofes entgegenzuwirken und konkretisieren und ergänzen gegebenenfalls hierzu auch die einzelnen Gemeinnützigkeitszwecke. Wir verbinden dies mit Transparenzpflichten für größere Organisationen.“ (Seite 117, im Abschnitt „Zivilgesellschaft und Demokratie“, Kapitel „Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt in der modernen Demokratie“)

Außerdem hieß es im Koalitionsvertrag:

„Wir wollen gesetzlich klarstellen, dass sich eine gemeinnützige Organisation innerhalb ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch betätigen kann sowie auch gelegentlich darüber hinaus zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen kann, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden. Wir schaffen handhabbare, standardisierte Transparenz pflichten und Regeln zur Offenlegung der Spendenstruktur und Finanzierung.“ (Seite 165, im Steuerkapitel „Zukunftsinvestitionen und nachhaltige Finanzen“)

Und:

„Wir schaffen Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus und machen E-Sport gemeinnützig.“ (Seite 123)

Diese Vorhaben hatten wir bereits 2021 eingeordnet.

Bei der „Gemeinnützigkeitsrechtsprechung des Bundesfinanzhofes“ geht es um das attac-Urteil. Dieses betrifft, entgegen einiger falscher Berichterstattungen, zunächst nur den Zweck der politischen Bildung – auf den sich mangels passender gemeinnütziger Zwecke viele Vereine stützen. Politische Mittel für konkrete Zwecke sind möglich, strittig ist der Umfang ebenso wie die Frage: Was gilt als politisches Mittel? Und wann überwiegen diese die anderen Aktivitäten, die nicht so gewertet werden? Ab welche Punkt findet Beteiligung am demokratischen Diskurs nicht mehr nur im Hintergrund statt? Es mangelt seit Jahren an Rechtssicherheit für politische Betätigung zivilgesellschaftlicher Organisationen, was zu Selbstzensur und Sorge führt. Eine Klarstellung hierzu findet sich jedoch nicht.
Unser gemeinsamer Formulierungsvorschlag mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte und campact lautete dazu: „(3) Gemeinnützige Zwecke werden auch dann nach Absatz 1 Satz 1 verfolgt, wenn eine Körperschaft sie durch die Mitwirkung an der politischen Willensbildung und der Bildung der öffentlichen Meinung fördert.“

Auf neue Zwecke konnte sich scheinbar auch nicht geeinigt werden, diese fehlen im Entwurf komplett. e-Sport als neuer Zweck hat es nicht geschafft, auch wenn dieser immer wieder von der FDP erwähnt wurde. Kein Engagement für demokratischen Teilhabe und politischen Bildung, Rechtsstaatlichkeit und Grund- und Menschenrechte, Antidiskriminierung, Frieden und gleichberechtigte Teilhabe. Gemeinnütziger Journalismus ist im Entwurf ebenfalls nicht enthalten, dieser soll jedoch untergesetzlich geregelt werden (erst im Mai 2024 machte die Aberkennung der Gemeinnützigkeit des Volksverpetzers Schlagzeilen).

Einordnung

Die Abschaffung der Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung wurde von anderen eingeordnet.
Sie wird wohl auch und vielleicht vor allem zur Entlastung der Finanzämter beitragen und auch deswegen mit aufgenommen worden sein, die jene Pflicht nicht oder nur mit großem Aufwand kontrollieren konnten. Für kleine Organisationen bis 40.000 Euro Einnahmen wurde sie bereits 2020 abgeschafft.
Neben der Entlastung für das Finanzamt und der Erleichterung für nun auch größere Vereine, bietet diese Regelung aber auch Risiken:

a) Ein Imageproblem, wenn einige gemeinnützige Organisationen viel Geld ansparen und dies dann auch anderen unterstellt wird, einfach weil es möglich ist. Dies könnte sich unter Umständen auch auf das Spendenverhalten von potentiellen Unterstützer:innen auswirken. Dagegen hilft nur bedingt Transparenz.

b) Wenn später eine Ausstiegsmöglichkeit aus der Gemeinnützigkeit kommt mit Pauschal-Versteuerung des Vermögens – wie einst schon geplant -, könnte es tatsächlich ein Steuersparmodell werden und ebenfalls das Vertrauen in den Sektor beschädigen.

Beide Risiken sind eingrenzbar. Nach Ansicht des BMF ist davon auszugehen, dass es im eigenen Interesse der jeweiligen steuerbegünstigten Körperschaften liegt, ihre Mittel weiterhin regelmäßig zeitnah für steuerbegünstigte Zwecke zu verwenden.

Über die Wohngemeinnützigkeit aus dem Jahressteuergesetz I berichteten wir bereits. Wohngemeinnützigkeit und auch Regelungen zur Mittelverwendeung gehören nicht zu den Kernanliegen unserer Allianz “Rechtssicherheit für politische Willensbildung”. Daher können wir die Umsetzung nicht abschließend beurteilen. Wir finden es gut, wenn neue Anliegen aufgenommen werden. Verwunderlich finden wir, wenn einzelne Anliegen aufgenommen werden, andere nicht, die für eine freie Zivilgesellschaft nicht weniger wichtig erscheinen.

Der Vorschlag zu §58 in Form einer „Demokratieklausel“ klingt gut, ebenso wie die Gesetzesbegründung, auf die es hier sehr an kommt. Bisher waren über den Satzungszweck gehende Äußerungen zu tagesaktuellen politischen Themen nur im Anwendungserlass zur Abgabenordnung festgelegt. Und hier auch nur als vereinzelt. Mit einer Kodifizierung sowie einer Wortänderung in gelegentlich wird klargestellt, dass der Sportverein zu einer Demo gegen Rechtsextremismus aufrufen darf, der Kleingartenverein auf Social Media ein antisemitisches Graffiti verurteilen kann. Diese Klarheit hat vorher so nicht geherrscht und ist somit in jedem Falle zu begrüßen!

Aber: Dies bleibt hinter dem Koalitionsvertrag zurück und greift nur eines von drei Hauptproblemen der gemeinnützigen Vereine und Institutionen auf.

Dass neue Zwecke im Zweckekatalog fehlen, ist bitter. Insbesondere, da Zwecke wie der Einsatz gegen Rechtsextremismus, gegen Antisemitismus und für Menschenrechte bspw. nötiger denn je scheinen.

Mit dem Entwurf ist das Regierungs- und Parlamentsverfahren eröffnet. Spielraum für Änderungen ist noch da. Ab September wird der Bundestag regeln müssen, was die Bundesregierung bis hier nicht schaffte: Eine echte Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts, nicht nur ein Ankratzen davon. Denn wir sehen es als die letzte Chance für Jahre, Änderungen wie die Einführung neuer gemeinnützi­ger Zwecke vorzunehmen. Kommende Regierungs-Koalitionen werden argumentieren, das Thema sei in der jetzigen Ampelkoalition ja bereits bearbeitet worden.

Update 25. Juli 2024

Am 24. Juli 2024 hat das Kabinett zwei Wochen nach dem Hausentwurf des Bundesfinanzministeriums jenen Entwurf des zweiten Jahressteurgesetzes unter dem Namen „Steuerfortentwicklungsgesetz“ beschlossen.
Unser Pressestatement dazu ist hier verlinkt.
Der Hausentwurf wurde ohne Änderungen angenommen mit einer Ergänzung einer Regelung zu Photovoltaikanlagen für gemeinnützige Organisationen.

 

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