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Autor: Stefan Diefenbach-Trommer

innn.it: Langer Streit um Demokratie-Förderung jetzt vor dem Bundesfinanzhof

Der Verein innn.it e.V., der das gleichnamige Petitionsportal innn.it betreibt, wehrt sich seit 2019 gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit durch das Finanzamt Berlin. Der Verein weigert sich, wie vom Finanzamt Berlin gefordert Petitionen an private Unternehmen und nicht staatliche Stellen zu löschen oder zu bepreisen. Diese seien nach Auffassung des Finanzamt gemeinnützigkeitsschädlich – nur Petitionen an staatliche Stellen würden unter den gemeinnützigen Zweck „Förderung des demokratischen Staatswesens“ fallen.

Der innn.it e.V. (ehemals Change.org-Verein) kann diese Argumentation nicht nachvollziehen und hat erfolgreich vor dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg geklagt. Das Finanzamt ging daraufhin in Revision. Die Verhandlung vor dem Bundesfinanzhof (BFH) in München findet am 12. Dezember 2024 statt, fünf Jahre nach Beginn der Auseinandersetzung. innn.it führt stellvertretend für etliche gemeinnützige Vereine in Deutschland einen Rechtsstreit, der eines der Probleme im Gemeinnützigkeitsrecht sichtbar macht.

Endspurt im Bundestag: Gemeinnützigkeitsrecht am 17.10.2024 im Plenum (und dann doch verschoben)

Nachdem die von der Ampel-Koalition vereinbarte Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts lange vor allem aus Ankündigungen bestand, geht es nun sehr schnell. Nach aktuellem Stand soll der Bundestag am Donnerstag, 17. Oktober, ein Paket mehrerer Steuergesetze final beschließen, die auch Änderungen am Gemeinnützigkeitsrecht enthalten. Der Koalitionsvertrag wird damit jedoch nur marginal umgesetzt.

Vereine schreiben wegen Gemeinnützigkeit an Bundeskanzler Olaf Scholz

Das Bundesfinanzministerium hatte Vorschläge zur Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts bis zur parlamentarischen Sommerpause angekündigt – das sind nun keine zwei Wochen mehr und ein Entwurf dafür ist nicht sichtbar. In der Verantwortung steht die gesamte Koalition, die gesamte Regierung. Die Dringlichkeit des Themas versuchen viele Akteur:innen der Zivilgesellschaft deutlich zu machen. Während einerseits um staatliche Fördermittel verhandelt wird, sind andererseits die rechtlichen Rahmenbedingungen wichtig: Als Basis für Fördermittel-Anträge, aber auch für die Selbstfinanzierung durch Spenden oder private Fördermittel. Gestern (24.6.2024) wurden zwei neue Briefe an den Bundeskanzler öffentlich.

Neuer gemeinnütziger Zweck geplant: Wohngemeinnützigkeit

Bis vor einigen Jahren galt die Liste gemeinnütziger Zwecke in §52 der Abgabenordnung als unantastbar. Gerichte und Finanzverwaltung argumentieren häufig, der Gesetzgeber habe dort festgeschrieben, was er fördern wolle; und was nicht drin steht, wolle er offenbar nicht fördern. Doch Bundestag und Bundesrat als Gesetzgeber kennen oft nicht die Details der Liste und haben Angst, dass die Wünsche an neue, zeitgemäße Zwecke überborden und die Zweck-Liste irgendwann platzen würde. Ende 2020 wurden dennoch einige neue Zwecke als Ergänzung zu bestehenden Ziffern aufgenommen. Nun soll nach dem Willen der Bundesregierung mit dem Jahressteuergesetz 2024 eine neue Ziffer 27 zu Wohngemeinnützigkeit angefügt werden. Das ist hilfreich, aber auch verwunderlich.

Warten auf das Jahressteuergesetz II

Seit mittlerweile zwei Jahren wird uns angekündigt, dass die Koalition die vereinbarte Modernisierung der Gemeinnützigkeit umsetzt – oft wird auf das jeweils nächste Jahressteuergesetz verwiesen. Am 5. Juni 2024 hat die Bundesregierung einen Entwurf eines Jah­ressteuergesetzes beschlossen. Dieser Entwurf enthält einen Vorschlag für einen neuen gemeinnützigen Zweck zu Wohngemeinnützigkeit (gleicher Begriff, aber anderer Bereich), sonst aber keine Veränderungen am Gemeinnützigkeitsrecht. Das Bundesfinanzministerium plant ein zweites Jahressteuergesetz 2024. Im zweiten Gesetz solle es um „politisch brisante“, in der Koalition strittige Themen gehen; u.a. Gemein­nützigkeit, aber auch Kinderfreibetrag, Kindergeld, Steuerklassen/Faktorverfahren und mehr. Der Journalist Tilo Jung befragte hierzu in der Bundespressekonferenz die Regierungssprecher:innen, die aber erst später wirklich antworten mit: „Regierungsinterne Abstimmungen dauern an.

Die Ungeduld bei vielen gemeinnützigen Organisationen und Dachverbänden wächst.
Hier nur einige der Briefe, die die Koalitionsspitzen in den vergangenen Wochen dazu Briefe erhalten haben:

Fall Volksverpetzer: Gemeinnütziger Zweck gegen Hass fehlt

Pressestatement der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V. zum Verlust der Gemeinnützigkeit des Volksverpetzers

  • Volksverpetzer teilt rückwirkenden Entzug der Gemeinnützigkeit mit
  • Offenbar fehlen gemeinnützige Zwecke für Engagement gegen Hass
  • Koalition verschleppt Modernisierung des Rechts der Zivilgesellschaft

Zur Mitteilung des Volksverpetzers, dass das zuständige Finanzamt dem Internet-Blog rückwirkend die Gemeinnützigkeit aberkannt hat, erklärt Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von fast 200 Vereinen und Stiftungen:

„Für das Engagement von Volksverpetzer für Demokratie und Grundrechte, gegen Fake-News und Hass fehlen offenbar passende Zwecke im deutschen Gemeinnützigkeitsrecht. Die Nachricht zeigt erneut die Dringlichkeit, das Gemeinnützigkeitsrecht ins 21. Jahrhundert zu bringen und es dabei sturmsicher gegen Anti-Demokrat:innen zu machen. Die Ampel-Koalition hatte eine Modernisierung der Gemeinnützigkeit im Koalitionsvertrag vereinbart. Doch bereits seit mehr als einem Jahr wird die Gesetzesänderung verschleppt.

Zehn Jahre ohne Gemeinnützigkeit: Attac kämpft weiter

Pressemitteilung von Attac Deutschland mit Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V.

  • Demokratische Zivilgesellschaft darf nicht weiter behindert werden
  • Von Ampel-Koalition versprochene Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts steht noch aus
  • Vor zehn Jahren strich das Finanzamt Frankfurt Attac den Gemeinnützigkeits-Status

Zehn Jahre ist es am kommenden Sonntag (14.4.2024) her, dass Attac Deutschland die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde. Das globalisierungskritische Netzwerk agiere zu politisch, begründete das Finanzamt Frankfurt seinen Bescheid vom 14. April 2014. Insbesondere der Einsatz für eine Regulierung der Finanzmärkte, eine Finanztransaktionssteuer – immerhin die Gründungsforderung von Attac – oder eine Vermögensabgabe seien nicht gemeinnützig, hieß es in dem Schreiben.

Seitdem wehrt sich Attac gegen die Aberkennung seiner Gemeinnützigkeit – juristisch und politisch. Die Auseinandersetzung erfuhr dabei von Beginn an große öffentliche Aufmerksamkeit. Denn der „Fall Attac“ hat nicht nur Bedeutung für das Netzwerk selbst, sondern beeinträchtigt auch die gesamte demokratische Zivilgesellschaft.

Fortschritte bei Demokratiepolitik, aber nicht bei Gemeinnützigkeitsrecht

Die Koalition aus SPD, Bündnis 90/Grüne und FDP ist bei demokratiepolitischen Vorhaben in den vergangenen Monaten gut voran gekommen – anders, als es oft wahrgenommen wird. Im vergangenen Jahr gab es dazu einige im Koalitionsvertrag vereinbarte Gesetzesänderungen. Regierung und Bundestag haben einiges abgearbeitet, aber kaum verknüpft. Eher unwahrscheinlich scheint, dass der Koalition bewusst war, dass sich diese Gesetzgebungen auf einem demokratiepolitischen Faden aufreihen.

Die ebenfalls vereinbarte, aber noch ausstehende Modernisierung der Gemeinnützigkeit sollte sich allerdings einreihen. Neben vielen kleinen Reparaturen und Wartungsarbeiten geht es bei der Modernisierung um demokratiepolitische Fragen, um die Funktion zivilgesellschaftlicher Organisation in der Demokratie, bei der Verteidigung von Menschenrechten, beim Schutz des Rechtsstaats. Welche Rolle will der Staat der Zivilgesellschaft zuschreiben? Was will er ermöglichen, was ausbremsen? Welche Kontrollen oder Begrenzungen sind vielleicht nötig, um andererseits Vertrauen zu schaffen?

Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts: Was bisher geschah – Unzureichender Kabinettsentwurf ist da

Im November 2021 hatten die Ampel-Parteien in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren. Einen Gesetzesentwurf dazu gibt es bis jetzt (Stand: 8. April 2024 – mit drei Nachträgen bis 5.6.2024) nicht – trotz mehrfacher Ankündigungen. Eine Chronik vom Koalitionsvertrag bis jetzt:

Dürfen Vereine gegen Rechtsextremismus demonstrieren? Kurze Hilfestellung für demonstrationsreiche Zeiten

Seit Wochen wird im ganzen Land gegen Rechtsextremismus, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit demonstriert. Die Zivilgesellschaft ist aktuell besonders aktiv sichtbar und gefragt – aber stolpert manchmal an den Grenzen des Gemeinnützigkeitsrechts. Darf mein gemeinnütziger Verein zu einer Demo gegen Rechtsextremismus aufrufen? Darf er so eine Demo veranstalten oder unterstützen?
Dieser Text gibt dazu, knapp und handlich einige hilfreiche Hinweise zur aktuellen Situation.

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