innn.it e.V. gewinnt vor Finanzgericht – Vier Jahre Zitterpartie

Pressestatement der Allianz “Rechtssicherheit für politische Willensbildung” e.V. zur Gemeinnützigkeits-Klage des innn.it-Vereins (ehemals Change.org-Verein)

  • Finanzgericht Berlin-Brandenburg gibt innn.it e.V Recht
  • Nicht jeder Verein hat Kraft für Streit um Gemeinnützigkeit
  • Ampel muss endlich Vereinbarung umsetzen und Gemeinnützigkeitsrecht modernisieren

Im Februar 2019 hatte die Petitions- und Kampagnenplattform innn.it (damals als Change.org-Verein) ihre Steuererklärung für die Jahre 2016 und 2017 eingereicht. Das Finanzamt Berlin verweigerte der “tatsächlichen Geschäftsführung” des Vereins die Anerkennung der Gemeinnützigkeit. Nach Bescheiden und Widersprüchen verhandelte das Finanzgericht Berlin-Brandenburg am 14.11.2023 in Cottbus die Klage von innn.it (Aktenzeichen 8 K 81298/22). innn.it teilte heute (15.11.2023) mit, dass das Finanzgericht der Klage des Vereins stattgegeben habe. Die schriftliche Urteilsbegründung steht noch aus. (Pressemitteilung von innn.it)
In der Verhandlung ging es insbesondere um die Auslegung des Zwecks “Förderung des demokratischen Staatswesens”, Unmittelbarkeit und der Abgrenzung von Partikularinteressen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Eventuell wird die Finanzverwaltung in einer Revision vom Bundesfinanzhof fordern, den Zweck der Förderung des demokratischen Staatswesens erstmals umfassend auszulegen.

Dazu erklärt erklärt Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz “Rechtssicherheit für politische Willensbildung”, einem Zusammenschluss von 200 Vereinen und Stiftungen:

“Es ist unfassbar, welche Ausdauer, Beharrlichkeit und Kraft ein Verein aufbringen muss, um seine Gemeinnützigkeit zu klären, die Anerkennung als selbstlos die Allgemeinheit fördernder Verein. Das führt dazu, dass viele Vereine ihre Arbeit beschränken, um bloß nicht an die Grenzen des unklaren Gemeinnützigkeitsrechts zu stoßen. Jeder 20. Verein hält sich mit Aussagen zurück, um seine Gemeinnützigkeit auf sicherem Grund zu halten, hatte der ZiviZ-Survey 2023 ergeben.

Der Fall innn.it e.V. ist leider nur einer von vielen Fällen, in denen zivilgesellschaftliches Engagement durch das veraltete Gemeinnützigkeitsrecht ausgebremst wird. Dabei braucht die Gesellschaft das zivilgesellschaftliche Engagement für Demokratie, Menschenrechte, Zusammenhalt und Rechtsstaatlichkeit.

Nicht alle Vereine haben wie innn.it e.V., Attac oder das Demokratische Zentrum Ludwigsburg die Kraft, ihre Handlungsspielräume vor Gericht zu verteidigen. Die Ampel-Koalition muss endlich ihr Versprechen einlösen, das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren, ins 21. Jahrhundert zu bringen und so zivilgesellschaftliches Engagement zu entbürokratisieren.”

Eine Vielzahl von Vereinen und Stiftungen fühlt sich durch das unklare Gemeinnützigkeitsrecht bedroht. An die 200 Vereine und Stiftungen haben sich in der Allianz “Rechtssicherheit für politische Willensbildung” zusammen geschlossen, um das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren und die selbstlose politische Einmischung etwa für Grundrechte und gemeinnützige Zwecke abzusichern. Zu den Mitgliedern gehören neben innn.it-Verein, Attac und DemoZ unter anderem Amnesty International, Brot für die Welt, Transparency International und Campact.

Weitere Infos: https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de

Hintergrund

Attac kämpft seit mehr als sieben Jahren um seine Gemeinnützigkeit und wartet nun seit zweieinhalb Jahren darauf, dass das Bundesverfassungsgericht den Fall verhandelt. Dass das Bundesfinanzministerium den Fall Attac mit betrieb, hat Attac durch die Einsicht in Akten nachgewiesen.
https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de/attac/

Das “Demokratische Zentrum Ludwigsburg” (DemoZ), ein kleines, rein ehrenamtlich geführtes soziokulturelles Zentrum, war nach dem Attac-Urteil des Bundesfinanzhofs von 2019 eines er ersten Opfer der einengenden Rechtsprechung. Nach drei Jahren Rechtsstreit, 12.000 Euro Verlust und tausenden Euro Anwaltskosten hat sich der Verein im Oktober 2022 mit dem Finanzamt geeinigt. Für vergangene Jahre bleibt die Gemeinnützigkeit verweigert. Das Finanzamt hat einen Großteil der Vorwürfe zurück genommen. Der Verein hat dem Kompromiss zugestimmt, um endlich wieder in Ruhe seiner wichtigen Bildungs- und Kulturarbeit nachgehen zu können. Die grundsätzlichen Fragen sind nicht geklärt.