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„Ich wundere mich über diese Frage“: Lesetipps zu 551 Fragen von CDU/CSU

Die 551 Fragen der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag zur Finanzierung und persönlichen Verbindungen ausgewählter zivilgesellschaftlicher Organisationen haben einen regelrechten Entrüstungssturm ausgelöst. Denn aus den Fragen spricht ein großes Misstrauen – eigentlich mehr gegen die staatliche Verwaltung als gegen die Organisationen. Und auch ein tatsächliches Unwissen über Zivilgesellschaft, deren Logik und Finanzierung. Wir rechnen damit, dass die Bundesregierung ihre Antwort in der Woche ab 10. März 2025 an den Bundestag übermittelt und die Antworten viel Luft aus den Fragen ablassen.

Update: Die Antwort ist da.

Die Themen hinter den aufgeregten Fragen der Union sind Themen, über die unsere Allianz seit Jahren konstruktiv auch mit CDU und CSU sprechen will: Mehr Klarheit im Gemeinnützigkeitsrecht. Eine gute Abgrenzung zwischen Parteien und anderen Organisationen; kommunale Wählerlisten und Einzelkandidierende sind bisher völlig ungeregelt. Transparenz und politische Kultur. Mögliche Grenzen politischer Einmischung für gemeinnützige Organisationen, gerne verbunden mit Überlegungen zu Transparenz. Ein Aufrichtigkeits- und Sachlichkeitsgebot im Gemeinnützigkeitsrecht – und gerne auch für Parteien im Wahlkampf. Zu all dem möchten wir sprechen und Perspektiven austauschen, um fassend. Der Rahmen ist Demokratiepolitik.

Aus den vielen Veröffentlichungen der vergangenen Tage sowie wichtigen Hintergrund-Infos haben wir einige besondere Lesetipps herausgesucht – das ist keine vollständige Liste und die Auswahl ist subjektiv, nicht neutral:

Unwahre Rechtfertigung der CDU/CSU

Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion rechtfertigte am 27. Februar 2025 im ARD-Morgenmagazin die 551 Fragen mit einem Verweis auf eine vermeintlich ganz ähnliche Anfrage der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen aus dem Jahr 2019 zur steuerlichen Behandlung Wirtschaftsverbänden. Die Aussage ist unwahr. Unter der Überschrift „Steuerrechtliche Behandlung von gemeinnützigen Organisationen und Berufs- und Wirtschaftsverbänden“ wird auf drei Seiten und in 15 Fragen wird dabei nicht eine einzige Organisation thematisiert, sondern nach den rechtlichen Bedingungen und allgemeinen Zahlen gefragt.

Thorsten Frei verteidigt im Interview die 551 Fragen unter anderem damit, dass es ja nicht stimmen müsse, wenn Greenpeace erklärt, keine staatlichen Zuschüssen zu bekommen. Zu Fragen des Journalisten sagt er: „Ich wundere mich über diese Frage.“

Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Mathias Middelberg rechtfertigte die Kleine Anfrage so: „Die Prüfung der rechtmäßigen Verwendung von Steuermitteln der Allgemeinheit ist eine Kernaufgabe des Parlaments. Dieser Verantwortung kommen wir selbstverständlich nach.“ Daraus spricht letztlich ein Misstrauen gegen die Finanzverwaltung und andere Behörden – denn nur die staatliche Exekutive wird vom Bundestag kontrolliert.

Sind es wirklich 551 Fragen? Haben Sie die alle gelesen? Dass es vielleicht Lücken gibt und wie die Fragen zustande gekommen sind, hat sich die Satire-Seite Postillon überlegt.

Antwort aus der Wissenschaft

Hoch beeindruckend: Mehr als 2.000 Wissenschaftler:innen, darunter sehr viele Hochschulprofessor:innen, drücken in einem Offenen Brief an die Unionsfraktion ihre große Besorgnis zu der Anfrage mit den 551 Fragen aus. Sie schreiben unter anderem, dass der Brief die genannten Organisationen mit einem Makel behafte – zu Unrecht: „Sie fördern politische Bildung, engagieren sich gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Radikalisierung, setzen sich für Umwelt- und Klimaschutz ein und verteidigen grundlegende Menschenrechte. Ihre Arbeit dient dem demokratischen Gemeinwohl sowie der Artikulation politischer Meinungen – auch in der Form von legitimem Protest – und ist gerade in Zeiten erstarkender autoritärer Strömungen von zentraler Bedeutung.“

Ebenfalls im Verfassungsblog hatte die Staatsrechtlerin Prof. Dr. Sophie Schönberger diskutiert, ob die Anfrage der CDU/CSU als solche und ihre Annahme durch den Bundestag gegen Regeln politischer Neutralität verstößt: „Zum Schutz der Grundrechte der betroffenen Vereinigungen hätte die Bundestagspräsidentin die Anfrage daher in dieser Form zurückweisen müssen und nicht veröffentlichen dürfen.“ Denn nur einige Fragen bezögen sich auf die Arbeit der Regierung. Ein Großteil aber „richtet sich der Sache nach ausschließlich gegen bestimmte NGOs. Manchmal wird dies mit einem mehr als oberflächlichen Regierungsbezug zu bemänteln versucht“. Die Prüfung, ob sich einzelne Steuersubjekte rechtmäßig verhalten, sei keine Aufgabe des Parlaments.

Basiswissen Zivilgesellschaft

Wer sich tatsächlich mit der Vielfalt der Zivilgesellschaft beschäftigen will und auch deren verschiedener Funktionen, findet hier kurz und knapp bei der Maecenata Stiftung Basiswissen zur Zivilgesellschaft. Mein Lieblingsabschnitt darin: „Viele Akteure der Zivilgesellschaft glauben, nur die Akteure, die dem gleichen Subsektor angehören und zu bestimmten gesellschaftlichen Fragen eine ähnliche Position einnehmen wie sie selbst, würden zur Zivilgesellschaft gehören. Auch in der Öffentlichkeit werden oft nur einzelne Akteure als zur Zivilgesellschaft gehörig betrachtet. Dies ist aber falsch.“

Eine Langfassung gibt es für fünf Euro bei der Bundeszentrale für politische Bildung – das „Handbuch Zivilgesellschaft“.

Faktencheck Mimikama

Wurden Massenproteste gegen den Rechtsruck mit Steuergeldern? Der Faktencheck von Mimikama sagt: Nein, die Behauptung ist falsch. „Es gibt keinen Beleg dafür, dass Demonstrationen mit Steuergeldern organisiert wurden.“

Analyse: „Legitime Kontrolle oder Versuch der Zensur?“

Mirko Lange, Initiator einer Unterschriften-Sammlung bei Weact anlässlich der 551 Fragen, hat auf Linkedin ein Dossier zu den 551 Fragen veröffentlicht: „Legitime Kontrolle oder Versuch der Zensur?“

Fakten: Die Antwort von ChatGPT

Mathieu Coquelin von der Fachstelle Extremismusdistanzierung hat die 551 Fragen von ChatGPT analysieren lassen. Das hätte die Unionsfraktion vielleicht vorab tun können. Und eventuell hilft das der Bundesregierung, die fristgerecht bis 10. März antworten will.

Fakten: Anwältin über das Neutralitätsgebot

Die Anwaltskanzlei Winheller hat in einem Blogbeitrag die 551 Fragen analysiert und schreibt rechtlich Fundiertes dazu auf. Sie thematisiert auch nötige Gesetzesänderungen.

Die Autorin des Beitrags, Eva Helfenstein, ergänzt dazu auf Linkedin, die Anfrage zeige den „Regelungsfokus“ der Union durch ihre Wortwahl: „Missbrauch“, „Schattenstrukturen“, „gezielt politische Gegner diskreditiert oder diffamiert“. Und: „Vergeblich sucht man in der Kleinen Anfrage nach Ansätzen die FÜR einen gewollten politischen Diskurs, die Anerkennung der Notwendigkeit von Pluralität oder die Anerkennung der wichtigen Rolle der Zivilgesellschaft für die Demokratie sprechen.“

Nochmal: Politik ist nicht immer Parteipolitik

Auch unsere Pressemitteilung zur vorigen Aussage von Middelberg (damals im Wahlkampf) könnte helfen.

Hinweise und Gutachten zu „Neutralitätsgebot“

Der Bundesjugendring und der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten hatten bereits im Mai 2024 eine Handreichung zum „Mythos Neutralitätsgebot“ veröffentlicht.

Welche Verpflichtungen zu Neutralität gemeinnützige Organisationen als Empfängerinnen von Fördermitteln haben, haben mehrere Förderstiftungen untersuchen lassen. Das Gutach­ten des Staatsrechtlers Prof. Dr. Friedhelm Hufen zeigt, dass das Neutralitätsgebot für Emp­fänger staatlicher Fördermittel genau definiert ist. Dem Gutachten zufolge ist es den Organisationen erlaubt, sich auch kritisch gegen die AfD zu positionieren, ohne ihre Fördermittel zu gefährden.

Sehr umfassend hat sich damit auch der Leiter des Instituts für Sportrecht an der Deutschen Sporthochschule, Prof. Dr. Martin Nolte, beschäftigt.

Journalistische Beiträge zum Neutralitätsgebot

Die Hauptstadtkorrespondentin Ann-Kathrin Büüsker hat am 26. Februar 2025 im Der-Tag-Podcast des Deutschlandfunks sehr fundiert die Fakten referiert zu vermeintlicher politischer Neutralität und Gemeinnützigkeitsrecht. Nur beim Attac-Urteil war sie nicht ganz exakt: Was der Bundesfinanzhof da gesagt hat, gilt nur für den Zweck „Politische Bildung“.

Einer der besten journalistischen Texte, der kompakt aber ausreichend differenziert die Sachlage zu Gemeinnützigkeit, Fördermitteln und Neutralitätsgeboten klärt, ist am 27. Februrar 2025 in der Zeit erschienen (Bezahlschranke).

Gemeinnütziges Engagement gegen Rechtsextremismus

Eine umfassende und mit Fallbeispielen hinterlegte Ausarbeitung zu“Vereinbarkeit eines Engagements gegen Rechtsextremismus mit dem Gemeinnützigkeitsrecht“ hat unser Mitglied „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ Ende 2024 veröffentlicht.

Siehe dazu auch unsere Handreichung zu Demonstrationen gegen Rechtsextremismus sowie unsere Hilfe-Seite.

Fakten: Campact gewinnt gegen CDU-Aussagen

Campact geht vor Gericht gegen vorherige öffentliche Behauptungen aus den Reihen der CDU/CSU zu vermeintlicher staatlicher Finanzierung des Vereins vor – und gewinnt. Zum Beispiel hier.

Fakten: Antworten von Organisationen

Einige Organisationen haben die Fragen der CDU/CSU, soweit sie diese Organisationen betreffen, öffentlich und freiwillig beantwortet. Die Antworten der Regierung werden nicht so weit gehen, denn es handelt sich nicht um Daten, die die Regierung sammelt oder kontrolliert. Für alle Details der Gemeinnützigkeit sind zudem die Länder, nicht der Bund zuständig. Transparenz herzustellen macht Arbeit – einige nennen es: Bürokratiebelastung. Es gibt gute Gründe, warum viele Vereine sich diese Arbeit nicht machen und es keinen Zwang zu solchen Angaben gibt.

Fakten: Transparenz

Wer Fragen zur Finanzierung politischer Akteur:innen jenseits von Parteien hat und dazu, wer gemeinnützig ist oder nicht, findet hier Antworten:

Stellungnahme Deutscher Naturschutzring

Mir gefällt die Tonalität einer Stellungnahme des Deutschen Naturschutzrings, der schreibt: „Wir haben in der Vergangenheit mit allen demokratischen Parteien – insbesondere der CDU/CSU gut zusammengearbeitet, wir haben mit unseren Mitgliedern in Regierungskommissionen an der Lösung von Problemen mitgewirkt. Gerne sind wir mit unseren Mitgliedsorganisationen bereit, diesen Weg weiter mitzugehen.“

Stellungnahme von 200 Vereinen

Mehr als 200 Vereine und Initiativen aus der Demokratiearbeit haben einen offenen Brief geschrieben – auch hier ist die Liste der Unterschreibenden länger als der Text. Sie fordern die Union auf, als voraussichtliche Regierungspartei ihrer demokratischen Verantwortung gerecht zu werden: „Eine kritische und engagierte Bürgerschaft ist dabei kein Störfaktor, sondern stärkt unser Land und ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Demokratie.“

Stellungnahme von vier Stiftungen

Vier (echte) Stiftungen schreiben an die Fraktionsvorsitzenden Merz und Dobrindt und fordern unter anderem Fakten statt Unterstellungen und eine Modernisierung des Gemeinnnützigkeitsrechts, um „Rechtssicherheit für die politische Betätigung gemeinnütziger Organisationen“ herzustellen.

Stellungnahme Bundesverband Deutscher Stiftungen

Der Bundesverband Deutscher Stiftungen schreibt: „Sichere Entfaltungsmöglichkeiten für selbstorganisiertes, bisweilen auch unbequemes zivilgesellschaftliches Engagement, dessen Ziele nicht zwangsläufig im Einklang mit den Parteien und anderen politischen Interessen liegen, sind essenziell für unsere Demokratie. Wir setzen uns in diesem Sinne weiterhin mit Nachdruck für die politische Meinungs- und Handlungsfreiheit gemeinnütziger Organisationen im Rahmen ihrer Zweckverfolgung ein.“

Viele weitere Stellungnahmen

…hat das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) hier zusammengestellt. (Unsere Allianz ist Mitglied des BBE.)

Keine Spaltung: Stellungnahme der Tafeln Deutschland

Die CDU/CSU-Fraktion hatte in Frage 43 gefragt: „Welche Unterschiede bestehen zwischen der CORRECTIV gGmbH und klassischen Wohltätigkeitsorganisationen wie dem Roten Kreuz oder den Tafeln?“ Der Dachverband der Tafeln schreibt gegen diese Spaltung: „Die 551 Fragen zeigen ein falsches Verständnis der Arbeit gemeinnütziger und zivilgesellschaftlicher Organisationen. NGOs stärken eine demokratische, gerechte Gesellschaft und setzen sich für eine Vielfalt von Themen ein, die im parteipolitischen Raum oft zu wenig Aufmerksamkeit erhalten. Wir sprechen den betroffenen Organisationen und Initiativen unsere Solidarität aus.“

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