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Ungefähre Begründung der Finanzgerichts-Entscheidung zu Attac

Entschieden hat am 10. November 2016 der 4. Senat des Finanzgerichts Kassel unter Vorsitz des Richters Helmut Lotzgeselle (Aktenzeichen 4 K 179/16). Die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. Laut Pressemitteilung des Ge­richts ist die Entscheidung noch nicht rechtskräftig. Die wichtigsten Teile der Entscheidung sind:

  • Die Satzung von Attac erfüllt die Anforderungen an die Gemeinnützigkeit.
  • Die Tätigkeiten von Attac in den Jahren 2010 bis 2012 waren gemeinnützig, weil sie den Satzungszwecken dienten. Die abweichenden Bescheide des Fi­nanzamtes Frankfurt sind aufgehoben.
  • Die Kosten des Verfahrens, auch des Vorverfahrens, trägt das Finanzamt.
  • Es wird keine Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen. Das Finanzamt kann beim BFH dagegen eine Nichtzulassungsbeschwerde einreichen.

Aktualisierung 17. Mai 2017: Die schriftliche Urteilsbegründung liegt vor. Das Finanzamt legt Nichtzulassungsbeschwerde ein. Das Urteil ist weiter nicht rechtskräftig.

Relevant wird die schriftliche Entscheidungsbegründung. Dort wird das Gericht aus­führlich erklären. warum es so entschieden hat. Dieser Text wird die Quelle für Fachli­teratur und Gesetzeskommentare sein. Wann das Gericht diese Begründung Attac und dem Finanzamt zustellt, ist derzeit nicht bekannt.

Ausblick auf die schriftliche Entscheidungs-Begründung

Einen Ausblick darauf gibt, was das Ge­richt in der kurzen mündlichen Entscheidungs-Begründung sowie im Laufe des Verfah­rens unter anderem erklärte.

Das Gericht betont, dass es keine Grundsatzentscheidung getroffen habe, sondern le­diglich die Aktivitäten von Attac in den Jahren 2010 bis 2012 beurteilt habe. Das seien Einzelfall-Entscheidungen. Deshalb lässt das Gericht keine Revision zum Bundesfi­nanz­hof zu, die das Finanzamt für den Fall einer Niederlage bereits beantragt hatte.

Das Gericht erklärt, dass sowohl der gemeinnützige Zweck politische Bildung als auch der der Förderung des demokratischen Staatswesens weit auszulegen seien. Dazu hatte das Gericht zuvor Ausführungen gemacht und dann diskutiert, ob die vom Fi­nanz­amt inkriminierten Aktivitäten die Kriterien erfüllen.

  • Politische Tätigkeiten dürften stets nur Mittel zum gemeinnützigen Zweck sein, dann seien sie erlaubt. Politische Tätigkeiten als Selbstzweck seien nicht er­laubt. Das Gericht entscheidet nicht über die Zulässigkeit politischer Zwecke.
  • Ein politischer Verein sei „nach allgemeiner Vorstellung“ nicht gemeinnützig.
  • Die Tätigkeiten müssen dem Zweck dienen. Dann dürfen sie auch politisch sein. Die Tätigkeiten müssen grundsätzlich geeignet sein, den Zweck zu erfüllen. Wertentscheidungen darüber stehen dem Gericht nicht zu. Die Organisation ist frei darin, wie und mit welcher Ausrichtung sie ihre Zwecke verfolgt.
    Überparteilichkeit muss dabei gegeben sein, wobei die Übereinstimmung mit Parteien in einzelnen Fragen nicht schädlich ist.
  • Nicht gemeinnützig sei die Vertretung von Einzelinteressen. Dass die gemein­nützige Tätigkeit Einzelnen nutzt, auch gewerblichen Zielen, schadet nicht.
  • Bildung, auch politische Bildung, ist ein gemeinnütziger Zweck, darum sind Bil­dungs-Aktivitäten als Selbstzweck erlaubt.
  • Strittig war, wie weit der Bildungsbegriff geht. Das Gericht sagt, Bildungsarbeit beinhalte nicht nur die Darstellung des Status quo, sondern auch die Darstel­lung und Erarbeitung alternativer Modelle.
    Um wahrgenommen zu werden, können Sachverhalte auch verkürzt, zugespitzt oder mit drastischen Formulierungen dargestellt werden.
  • Alle Aktionen, die auf den ersten Blick so aussehen, als würden sie über diese Grenzen hinaus gehen, seien in ein umfangreiches Bildungsangebot bzw. Infor­mationsangebot eingebettet gewesen. Laut Pressemitteilung des Gerichts wur­den die Tätigkeiten insbesondere bezogen auf den Zweck Bildung beurteilt.
  • Der Begriff des demokratischen Staatswesens sei weit auszulegen. Dazu gehö­ren unter anderem Sozialstaatskomponente (Sozialstaats-Prinzip), Rechtsstaat­kompomente, Sicherung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, Solida­rität und Steuergerechtigkeit.
  • Eine tragende Säule unserer Demokratie sei Steuergerechtigkeit. Nur mit einer gewissen gerechten Verteilung könne eine Demokratie funktionieren.
  • Die Solidarität außerhalb des Staates kann dem Zweck Völkerverständigung zu­geordnet werden.

Folgen für Attac

Attac prüft derzeit noch, ab wann wieder Spendenbescheinigungen ausgestellt werden können und unter welchen Umständen Spender für steuerlich abgeschlossene Jahre ihre Spenden noch geltend machen können.

Folgen für Rechtssicherheit gemeinnütziger Organisationen

Die Gerichts-Entscheidung ist nicht verbindlich für Finanzämter. Dennoch wird sie aus­strahlen, wird Eingang in juristische Kommentare finden. Mit der Entscheidung und ih­rer Begründung kann gegenüber Finanzämtern argumentiert werden. Rechtssicherheit für alle zivilgesellschaftlichen Organisationen schafft sie nicht, das kann nur ein Ge­setz.

Nicht neu ist die Auffassung, dass politische Tätigkeiten zur Erreichung des gemein­nützigen Satzungszwecks erlaubt sind. Allerdings bleibt der Begriff „politisch“ ausge­sprochen unklar. Aus unserer Sicht können in der Abgabenordnung aufgelistete Zwe­cke politisch sein, etwa der Umweltschutz oder die Gleichberechtigung.

Neu ist in der Entscheidung die weite Interpretation des Zwecks Förderung des demo­kratischen Staatswesens. Das Gericht ordnet dort unter anderem den Einsatz für Steuergerechtigkeit zu. Aus der mündlichen Begründung geht jedoch nicht eindeutig hervor, ob das Gericht die Attac-Tätigkeiten vor allem der Bildung oder der Förderung des demokratischen Staatswesens zuordnet. Dadurch bleibt unklar, wie weit Aktivitä­ten wie die von Attac auch ohne Bildungsanteile gemeinnützig wären, wenn sie sich lediglich auf die Förderung des demokratischen Staatswesens beziehen.

Gemeinnützige Organisationen werden ihre politischen Forderungen stets gut begrün­den und aus einer Analyse herleiten, sie werden darüber informieren, wie sie dazu kommen. Das Gericht hat festgestellt, dass die Kampagnen von Attac in umfassende Informationen eingebettet waren. Doch ob das Teil der Verwirklichung von Satzungs­zielen wie Solidarität war oder Teil der Bildungsarbeit, wird sich hoffentlich aus der Begründung ergeben.

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