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Schlagwort: Zivilgesellschaft

22. März: Gemeinnützigkeit erneut im Bundestag

Das Gemeinnützigkeits-Recht und seine Beschränkungen für selbstlos politisch tätige Organisationen sind erneut Thema im Bundestag. Am Mittwoch, 22. März 2017, lädt der Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement ab 17 Uhr zur öffentlichen Anhörung ins Paul-Löbe-Haus in Berlin. Die Abgeordneten hören dort zunächst Einführungen von

  • Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V.,
  • Ansgar Klein, Geschäftsführer des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE) und
  • Rolf Möhlenbrock, Unterabteilungsleiter im Bundesfinanzministerium.

Einigkeit im Bundestag: Gemeinnützigkeitsrecht überprüfen

Der Bundestag hat uns ein Weihnachtsgeschenk gemacht: In einer Debatte über die Gemeinnützigkeit haben Sprecherinnen und Sprecher aller Fraktionen am vergangenen Donnerstagabend (15. Dezember 2016) angekündigt, das Gemeinnützigkeitsrecht und insbesondere den Zweck-Katalog überarbeiten zu wollen – auch die CDU/CSU, deren Finanzfachleute bisher noch nicht mit uns sprechen wollten. Die Vorschläge der Abgeordneten reichen von fraktionsübergreifender Verständigung über Debatte im Finanzausschuss bis Vertagung auf das Jahr 2018.

Mehrere Abgeordnete bekräftigten den wichtigen Beitrag des politischen Engagements in zivilgesellschaftlichen Organisationen für die Demokratie und thematisierten die unterschiedlichen Interpretationen der Finanzämter.

Ungefähre Begründung der Finanzgerichts-Entscheidung zu Attac

Entschieden hat am 10. November 2016 der 4. Senat des Finanzgerichts Kassel unter Vorsitz des Richters Helmut Lotzgeselle (Aktenzeichen 4 K 179/16). Die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. Laut Pressemitteilung des Ge­richts ist die Entscheidung noch nicht rechtskräftig. Die wichtigsten Teile der Entscheidung sind:

  • Die Satzung von Attac erfüllt die Anforderungen an die Gemeinnützigkeit.
  • Die Tätigkeiten von Attac in den Jahren 2010 bis 2012 waren gemeinnützig, weil sie den Satzungszwecken dienten. Die abweichenden Bescheide des Fi­nanzamtes Frankfurt sind aufgehoben.
  • Die Kosten des Verfahrens, auch des Vorverfahrens, trägt das Finanzamt.
  • Es wird keine Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen. Das Finanzamt kann beim BFH dagegen eine Nichtzulassungsbeschwerde einreichen.

Aktualisierung 17. Mai 2017: Die schriftliche Urteilsbegründung liegt vor. Das Finanzamt legt Nichtzulassungsbeschwerde ein. Das Urteil ist weiter nicht rechtskräftig.

Reaktionen auf das Attac-Urteil

Die Verhandlung und Entscheidung hat viele Reaktionen ausgelöst – viele Presseberichte, aber auch Pressemitteilungen von Parteien und Organisationen sowie pointierte Zeitungs-Kommentare. SPD und Grüne fordern in Pressemitteilungen gesetzliche Klarstellungen und übernehmen damit Forderungen der Allianz. Politik-Redakteure fordern gesetzliche Änderungen. Nur aus Ministerien gibt es noch keine öffentlichen Reaktionen.

Strachwitz: Debatte über Gemeinnützigkeitsrecht muss geführt werden

Dr. Rupert Graf Strachwitz vom Maecenata-Institut hat sich für den Newsletter des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE) mit dem Antrag der hessischen SPD zur Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts beschäftigt. (Mehr zum Antrag der SPD hier.)

Er stellt richtig fest, dass der Antrag im Hessichen Landtag nur geringe Aussichten hat, „für die Landesregierung handlungsleitend zu werden“ und kritisiert handwerkliche Mängel iwe „zum Teil nicht sonderlich sorgfältige Formulierungen“, hält jedoch fest, dass die SPD mit dem Antrag wichtige Denkanstöße gibt, denn der Antrag sei „in der Sache … ebenso richtig wie wichtig“. Das freut uns besonders, denn die SPD hat in dem Antrag die beiden Hauptforderungen der Allianz übernommen. Strachwitz fordert, den Antrag der SPD ernst zu nehmen als „Anlass für eine grundsätzliche Diskussion darüber .., was wir denn gemeinnützig nennen. Diese Debatte müssen wir nämlich dringend führen.“

Er hält es für nötig, einen sicheren Rechtsrahmen für Organisationen der Zivilgesellschaft und „ihren politischen Mitgestaltungsauftrag“ zu schaffen. Dies müsse per Gesetz geregelt werden. Strachwitz erinnert daran, dass die aktuellen Regelungen „einem modernen Verständnis von einer offenen demokratischen Gesellschaft unvereinbar“ sind. „Selbstermächtigte und -organisierte Themenanwälte und Wächter sind heute ebenso wichtig wie Dienstleister, Selbsthilfeorganisationen, Solidarität und Gemeinschaft stiftende Vereinigungen und Orte der politischen Deliberation. Dass besonders letztere denen ein Dorn im Auge sind, die um ihre Gestaltungsmacht fürchten müssen, ist nachvollziehbar, aber demokratietheoretisch dennoch nicht akzeptabel.“

Der SPD-Antrag wird nun voraussichtlich in der kommenden Woche im Hessischen Landtag in erster Lesung behandelt und dann in die Fachausschüsse zur weiteren Beratung verwiesen.

Attac: Abgabenordnung erlaubt politische Betätigung

Attac hat heute die Begründung seiner Klage gegen das Finanzamt Frankfurt veröffentlicht, mit der die Wiederherstellung der Gemeinnützigkeit gefordert wird. In dem Schriftsatz legt Attac dar, dass das Gesetz nicht hergibt, eine politischen Tätigkeit zur Verfolgung gemeinnütziger Zwecke zu beschränken und dass der gemeinnützige Zweck „Förderung des demokratischen Staatswesens“ so umfassend zu verstehen ist, dass die Tätigkeiten von Attac darunter fallen. Das Gericht wird aufgefordert, das Gesetz richtig anzuwenden statt sich an der falschen Interpretation im Anwendungserlass zu orientieren. Die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ appelliert an die Politik als Gesetzgeber, die eigene Interpretation klarzustellen, statt sich von Interpretationen von Justiz oder Exekutive abhängig zu machen.

Zivilgesellschaftliche Organisationen wie Attac sind nötig für eine lebendige Demokratie. Sie bündeln das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern, sie verhindern politische Fehlentscheidungen, sie stehen für schwache Gesellschaftsmitglieder ein. Einen Widerspruch von Gemeinnützigkeit und politischem Engagement gibt die Abgabenordnung als Gesetz nicht her, eher im Gegenteil. Sie trennt lediglich klar zwischen Parteien und anderen Organisationen.

Selbstverständnis politisch aktiver gemeinnütziger Organisationen

Während in der Politik die Einsicht wächst, dass es Klarstellungen im Gemeinnützigkeitsrecht braucht, dass bürgerschaftliches Engagement auch politische Einmischung ist, gehen dennoch die Attacken weiter gegen Einmischung, die stört. Im Fokus sind da besonders die TTIP-Proteste und Campact als sehr mächtig wahrgenommener Akteur. Die Selbstlosigkeit von Campact wurde schon in den vergangenen Monaten öffentlich in Frage gestellt, der Kampfbegriff dazu lautet „Empörungsindustrie“.

6.6. in Berlin: Fachgespräch Gemeinnützigkeit im Bundestag

Am Montag, 6. Juni 2016, veranstaltet die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen ein öffentliches Fachgespräch zu Reformbedarf im Gemeinnützigkeitsrecht. Die Veranstaltung findet von 13 bis 16 Uhr im Bundestag statt und ist öffentlich, eine Anmeldung ist erforderlich.

Die Grünen flankieren mit dem Fachgespräch ihre Große Anfrage zu Gemeinnützigkeit und mehr. Im Fachgespräch geht es vor allem einerseits um die Abgrenzung zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Parteien, zwischen interessengeleiteter und selbstloser Lobbyarbeit und auch zwischen demokratischem Engagement und demokratiefeindlichen Organisationen; zum anderen geht es um Transparenzforderungen an gemeinnützige und andere politische Akteure, da vor allem um Stiftungen.

Als Fachpersonen sind eingeladen:

  • Stefan Diefenbach-Trommer, Koordinator der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“
  • Michael Sell, Leiter der Steuerabteilung im Bundesministerium der Finanzen
  • Michael Ernst-Pörksen,  Dipl. Volkswirt und Experte für Gemeinnützigkeitsrecht
  • Prof. Dr. Sophie Lenski, Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht, Medienrecht, Kunst- und Kulturrecht an der Universität Konstanz
  • Prof. Dr. Stephan Schauhoff, Fachanwalt für Steuerrecht, da vor allem für Gemeinnützigkeit, und Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen

Spannend wird vor allem die Auseinandersetzung mit Michael Sell vom Bundesfinanzministerium, denn seine Steuerabteilung ist der Auffassung, dass gemeinnützige und politische Zwecke zu unterscheiden seien. Wer sich politisch engagieren möchte, könne dies in Parteien und Wählergemeinschaften tun.

Bundestag debattiert Freiraum für zivilgesellschaftliche Organisationen

In einer Bundestagsdebatte am 14. April 2016 über zivilgesellschaftliches Engagement und Einschränkungen für zivilgesellschaftliche Organisationen in vielen Ländern spielte auch die Situation von Organisationen in Deutschland eine Rolle. „Eine lebendige Zivilgesellschaft ist unentbehrlich für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und für die Fähigkeit einer Gesellschaft, mit neuen Herausforderungen umzugehen“ – dieser Satz steht in einem Antrag der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zu „Zivilgesellschaftliches Engagement braucht Raum“. Darin geht es allerdings nicht um das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht, sondern um Nichtregierungsorganisationen (NGO) , deren Handlungsspielräume immer weiter eingeschränkt werden. Die Grünen beantragten, dass sich die Bundesregierung in allen Auslandskontakten für NGO und Menschenrechtsverteidiger einsetzen soll.

Der Antrag wurde am 14. April 2016 in erster Lesung im Bundestag diskutiert und Sprecher aller Fraktionen stellten sich hinter die Forderungen. Den Bezug zum Inland stellten die meisten Redner her. (Hier das gesamte Protokoll der Bundestags-Debatte, in der PDF ab Seite 118.)

Gemeinnützige sind selbstlos, ihre Empörung ist nicht zweckfrei

Bereits um den Jahreswechsel 2015/2016 berichteten mehrere Medien über Campact und die Forderung eines CDU-Bundestagsabgeordneten. Der hatte verlangt, die Gemeinnützigkeit von Campact zu prüfen, da der Verein Politik betreibe Der CDU-Politiker verwendete dafür bereits im Laufe des Jahres 2015 den Begriff „Empörungsindustrie“. Damit zielte er auf gemeinnützige zivilgesellschaftliche Organisationen, die gegen das geplante Freihandelsabkommen TTIP Stellung bezogen hatten.

Der Begriff „Empörungsindustrie“ ist perfide, denn er stellt eine der Säulen der Gemeinnützigkeit in Frage. Gemeinnützig ist, wer selbstlos das Wohl der Allgemeinheit fördert – das ist ein entscheidender Unterschied zu Industrie-Lobbyisten, die im Interesse ihrer Auftraggeber oder der eigenen Firma handeln. Genau dies ist bei gemeinnützigen Organisationen nicht der Fall.