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Jahresbericht 2021

(Dieser Jahresbericht als PDF)

Im Januar 2021 waren wir noch geprägt von den Ergebnissen im Jahressteuergesetz 2020 – neue Zwecke wie Klimaschutz und die „Förderung der Hilfe für Menschen, die aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität oder ihrer geschlechtlichen Orientierung diskriminiert werden“ oder die vereinfachte Mittelweitergabe waren zwar ein wichtiger Schritt für viele Organisationen, mit Abstand aber nicht der große Wurf, den wir uns vom Jahressteuergesetz 2020 erhofft hatten.

Für unsere Allianz waren damit für 2021 zwei Ziele klar:

  1. Je mehr Parteien sich bereits im Bundestagswahlkampf klar zu einer Re­form des Gemeinnützigkeitsrecht positionieren, desto höher die Chancen auf entsprechende Gesetzesänderungen in den kommenden Jahren;
  2. die anstehende Überarbeitung des Anwendungserlass zur Abgabenord­nung (AEAO) durch Bundes- und Landesfinanzministerien, um die Änderungen durch das Jahressteuergesetz und aktuelle Rechtsprechung (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH) abzubilden, bietet eine Chance auf Klarstellungen zum erlaubten Umfang politischer Betätigung gemeinnütziger Organisationen.

Beide Ziele haben die Arbeit der Allianz im Jahr 2021 geprägt. Während die Verhandlungen zum Anwendungserlass andauerten, konnten wir nur dann und wann einen Impuls unter verschlossenen Türen durchschieben. Unser Aufsatz in der juristi­schen Fachzeitschrift für Stiftungs- und Vereinswesen (ZStV) im August 2021 mit For­mulierungsvorschlägen für den Anwendungserlass zum Beispiel hat dem Vernehmen nach die Debatte vorangebracht.

Im Dezember 2021 wussten wir dennoch noch nicht, was Bundes- und Landesfinanz­ministerien planen oder wann ein überarbeiteter Anwendungserlass veröffentlicht wird (dies geschah schließlich im Januar 2022; unsere Einschätzung dazu hier).

Bundestagswahl

Bei den vielen Themen, die den Bundestagswahlkampf 2021 prägten, war Gemein­nützigkeit nicht an prominenter Stelle. Umso mehr sehen wir es als Erfolg unserer Alli­anz und unserer Kooperationspartner:innen an, dass drei der zur Wahl stehenden Par­teien klare Formulierungen in ihren Wahlprogrammen aufgenommen hatten. Ein Erfolg der vergangenen Jahre, vor allem aber ein Ergebnis unserer Arbeit im Jahr 2021. Gemeinsam mit anderen, haben wir intensive Gespräche mit Vertreter:innen verschiedener Parteien geführt, gemeinsame Positionspapiere verfasst, Fragen beant­wortet und Formulierungshinweise gegeben. Und stets auf die Notwendigkeit hinge­wiesen, klare Positionierungen zu Gemeinnützigkeit und weiten Räumen für Zivilgesell­schaft in den Wahlprogrammen zu verankern.

Zwei dieser Parteien sind nun in der Bundesregierung vertreten – was sich auch im Koa­litionsvertrag widerspiegelt.

Koalitionsvertrag – und weiter

So sehr die Formulierungen im Koalitionsvertrag Anlass zur Freude sind, so sehr sind sie aber auch nur ein Meilenstein: Wir wissen aus unseren Gesprächen, dass viele poli­tische Entscheidungsträger:innen weiterhin wenig Verständnis von der Arbeit und Rol­le einer (auch politischen) Zivilgesellschaft haben. Zu oft wird Zivilgesellschaft nur mit Ehrenamt in Sport und Kultur gleichgesetzt, zu oft öffentlich geäußerte Kritik als Machtanspruch und Gefahr für die Demokratie gesehen. Dass dies nicht so sein muss, zeigt ein im Februar 2022 im Europäischen Parlament debattierter Bericht, im Rahmen dessen Vorbereitung wir uns als Allianz auch einbringen durften.

Gleichzeitig zeigen vielfältige Debatten und Ausrufe in den sozialen Medien, in der Presse und kleine Anfragen in Bundestag und Landtagen, wie dringend notwendig eine umfassende Debatte über Rolle und Funktion einer starken Zivilgesellschaft in einer lebendigen Demokratie ist: Wenn bei einer Greenpeace-Aktion ein Unfall passiert, soll­te der erste Impuls dann der Ruf nach der Aberkennung der Gemeinnützigkeit sein? Wenn eine Petitionsplattform auch Petitionen an nicht-staatliche Adressatinnen richtet, sollte ihr dann die Gemeinnützigkeit aberkannt werden? Wenn eine parteiunabhängige Jugendorganisation jungen Menschen einen Raum bietet, das eigene politische Denken zu entfalten, ist dies dann nicht mit der Gemeinnützigkeit vereinbar? Ist es für unsere Demokratie förderlich, wenn antifaschistische Arbeit durch angedrohte Aberkennung der Gemeinnützigkeit behindert wird?

Lange Linie

Eine Kernfrage bleibt offen: Worum geht es wirklich in der Diskussion um das Gemeinnützigkeitsrecht? Geht es um Steuerbegünstigungen? Oder geht es eigent­lich um die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass zivilgesellschaftliche Arbeit nicht dazu genutzt wird, das demokratische System zu unterwandern? Parteipolitisch engagierte Menschen begegnen uns oft mit der Sorge, dass „zu viel“ politischer Hand­lungsspielraum für gemeinnützige Organisationen genutzt werden könnte, um das par­teipolitische Machtgefüge durch unlauteren Wettbewerb zu beeinflussen oder dadurch gar antidemokratische Kräfte gestärkt werden. Dass letztere auch ohne Gemeinnützig­keit laut und stark sein können, zeigen Pegida, Querdenken und andere. Dass aber ge­rade diejenigen, die sich gegen diese antidemokratischen Kräfte stellen, oft auf Ge­meinnützigkeit angewiesen sind, fällt häufig unter den Tisch. Auch, dass es bei Ge­meinnützigkeit meist um weit mehr geht als Steuerrecht – wer nicht gemeinnützig ist, hat es schwerer lokale Räumlichkeiten zu finden, hat es schwerer öffentliche und pri­vate Fördermittel in Anspruch zu nehmen, hat es schwerer als „gut“ wahrgenommen zu werden.

Dass eine moderne Demokratie klare Transparenzregeln braucht, darüber sind sich viele – gerade zivilgesellschaftliche Organisationen – einig. Wie diese ausgestaltet wer­den müssen, ist allerdings noch lange nicht klar. Müssen Transparenzregeln nur an die Gemeinnützigkeit gekoppelt sein, auf Seiten von Parteien und Regierung ansetzen oder alle politisch aktiven Akteur:innen umfassen? Wie verhindert ein enges Gemein­nützigkeitsrecht, dass sich Organisationen wie die Initiative Neue Soziale Marktwirt­schaft (INSM) in den Wahlkampf einmischen, um das Ergebnis der Bundestagswahl und damit zukünftige politische Entscheidungen zu beeinflussen?

Ausblick

All diese Fragen zeigen: Es braucht weiterhin eine starke Stimme für eine auch politische Zivilgesellschaft. Es braucht Akteur:innen, die die Sichtweise zivilgesell­schaftlicher Organisationen in bevorstehende Gesetzesänderungen einbringen, für Verbesserungen werben und vor (unbeabsichtigten) Hürden warnen.

Gemeinsam mit unseren Mitgliedern und unseren Kooperationspartner:innen sehen wir uns als Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ hier weiter in der Pflicht. Wir müssen sicherstellen, dass die Koalitionsparteien nicht bei der Einführung eines Demokratiefördergesetzes oder der Überarbeitung des Anwendungserlasses (AEAO) aufhören. Wir müssen dafür sorgen, dass das FDP-geführte Finanzministerium die Herausforderungen für zivilgesellschaftliches Handeln sieht, erkennt und eine gute Lösung einbringt.

Chronologie 2021 – ein Auszug

Publikationen 2021 – ein Auszug

  • Diefenbach-Trommer, Stefan (2021): Jahressteuergesetz bringt Erleichterungen und zeigt Diskussionsbedarf. In: Zeitschrift für Stiftungs- und Vereinswesen, 2/2021, Baden-Baden, Seite I (Editorial)
  • Diefenbach-Trommer, Stefan/Krämer, Romy (2021): Model aircraft, yes – social justice, no. In: Alliance Magazine März 2021, Seite 60 ff.
  • Diefenbach-Trommer, Stefan (2021): Nötige Unterscheidungen zur politischen Betätigung gemeinnütziger Körperschaften: Zweck, Mittel, Haltung und Tages­politik. In: Zeitschrift für Stiftungs- und Vereinswesen, 4/2021, Baden-Baden, Seite 152ff
  • Diefenbach-Trommer, Stefan (2021): Reformbedarfe des Gemeinnützigkeits­rechts. In: Klein, Ansgar/Sprengel, Rainer/Neuling, Johanna (Hg.): 20 Jahre En­quete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ – Bilanz und Ausblick. Jahrbuch Engagementpolitik 2022. Frankfurt/M., Seite 83.
  • Diefenbach-Trommer, Stefan/Schmidt-Ehry, Annika (2021): Gemeinnützigkeit und Demokratiepolitik im Spiegel der Wahlprogramme – Was sich seit 2017 än­derte und was nach der Wahl geschehen muss. 12. August 2021: https://www.b-b-e.de/fileadmin/Redaktion/05_Newsletter/01_BBE_Newsletter/2021/08/Newsletter-16-Schmidt-Ehry_Diefenbach-Trommer.pdf (letzter Zugriff: 20. Janu­ar 2022).
  • Schmidt-Ehry, Annika (2021): Shrinking Spaces durch Steuerrecht? Wie das Ge­meinnützigkeitsrecht den Handlungsspielraum zivilgesellschaftlicher Organisatio­nen beschränkt. In: Pigorsch, Stephanie u.a. (2021): Shrinking Spaces. Schrumpfende Räume für die Zivilgesellschaft. Potsdam, Seite 58ff

Infos zu Einnahmen, Ausgaben und weitere Transparenz-Daten

…auf unserer Transparenzseite. Für das Jahr 2021 hier.

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